Abbau Ost
vor dem ersten Jahrestag der deutschen Einheit, lud Karl-Heinz Rüsberg potenzielle Käufer
zum »Investortreffen« ins Schweriner Staatstheater. Mecklenburger Trachtenmädchen empfingen die geladenen Gäste, der Treuhandchef
ließ Bilder verteilen, die ihn inmitten dreier reizend kostümierten Balletttänzerinnen zeigten. Von einem der Balkone begrüßten
Fanfarenbläser die Eintretenden. Treuhandmitarbeiter verteilten eifrig Kataloge der noch nicht veräußerten Treuhandbetriebe.
Zum Auftakt der Festveranstaltung erklang die Ouvertüre zur Oper ›Martha‹ von Friedrich von Flotow. Dann richtete Alfred Gomolka,
der damalige Ministerpräsident Mecklenburg-Vorpommerns, Grußworte an die westdeutschen Besucher. Und über allem thronte Karl-Heinz
Rüsberg. Tausende Beschäftigte aus Treuhandbetrieben verfolgten das Spektakel im Fernsehen. Sie sahen, wie die Herrschaften
auf dem Theatervorplatz aus ihren Limousinen stiegen, wie sie ins Theater schritten, in den Katalogen blätterten und kritisch
prüften, ob eine der Verkaufsofferten ein lohnendes Geschäft versprach. Teilnehmer erinnerten sich an eine »zwanghafte Atmosphäre
des Ausverkaufs«. Die Lokalpresse titelte »Mecklenburg auf dem Grabbeltisch«.
Der Treuhandchef wertete die Theaterveranstaltung (Kosten 120 000 D-Mark) als großen Erfolg. »Es ist mein Ehrgeiz, dass wir
als Erste aller Filialen ausverkauft sind.« Schon bald sollte »auch der letzte Betrieb im alten DDR-Bezirk Schwerin privatisiert,
liquidiert oder auf dem Wege der Sanierung sein«. Unerbittlich drückte er aufs Tempo, wissend, dass die Berliner Treuhandzentrale
seine Privatisierungswut mit Wohlgefallen betrachtete. »Wenn das alles geschafft ist«, sagte Rüsberg der Presse, »dann sind
wir würdig für das Bundesverdienstkreuz.« Und, gleichsam den Dank des Vaterlandes vor Augen, trieb er sich und seine Mitarbeiter
zu Höchstleistungen an. Verträge unterzeichnete der Filialleiter »wie der Bundeskanzler«, mit grünem Stift. Die Presse ließ
sich zum Fototermin bitten, während Rüsberg an seinem Arbeitsplatz (schwerer Eichenschreibtisch, röhrende Hirsche) eine spartanische
Mahlzeit (Pellkartoffeln, Quark und saure Gurken) einnahm, der erklärten Lieblingsspeise von Treuhandchefin Birgit |111| Breuel. Ansonsten gab er sich der Jagdleidenschaft hin und residierte im großherzoglichen Jagdschloss Friedrichsmoor.
»Es muss dem diplomierten Maschinenbauer und Wirtschaftsingenieur«, urteilte die ›Schweriner Volkszeitung‹ in einem Artikel
am 16. Mai 1992, »wie ein ganz persönlicher Triumph vorgekommen sein, vom Geschäftsführer einer mittelständischen Firma zum
Herr über rund 300 ehemals Volkseigene Betriebe avanciert zu sein, die vom Betriebskindergarten bis hin zum eigenen Ferienheim
60 000 Mitarbeiter beschäftigten. Dass der ehrgeizige Rüsberg als Treuhänder nicht mit eigenem, sondern mit ehemaligem Volksvermögen
und mit Steuergeldern arbeitet, verschafft ihm jene Freiheit, von der Manager ansonsten nur träumen können. Erfolge kann er
sich selbst an die Brust heften, für Misserfolge kann er die marode DDR-Planwirtschaft verantwortlich machen.« Zum Ende seiner
Privatisierungsarbeit präsentierte Karl-Heinz Rüsberg der Öffentlichkeit seine »Erfolgsbilanz« und setzte damit den Maßstab
für die statistische Aufarbeitung der gesamten Privatisierungsbehörde. Selbst hartgesottenen Privatisierern rang es Respekt
ab, mit welcher Unverfrorenheit der Niederlassungsleiter von »erfolgreich privatisierten Unternehmen« und »Investitionszusagen«
sprach, wie sich in der rüsbergschen Interpretation Liquidationen zu »behutsamen Stilllegungen« wandelten und allenfalls am
Rande Erwähnung fand, wie in der »Erfolgsbilanz« Zehntausende vernichteter Arbeitsplätze vollkommen ausgeblendet wurden und
sich Treuhandchef Rüsberg die wenigen noch übrig gebliebenen »Arbeitsplätze, die vertraglich gesichert oder neu geschaffen
werden konnten« als persönliches Verdienst anrechnete.
Am 17. Juli 1992, einem Freitag, reiste Treuhandchefin Birgit Breuel eigens nach Schwerin und wohnte der letzten Vertragsunterzeichnung
bei. Karl-Heinz Rüsberg und der Immobilienkaufmann Harry Krause aus Bayreuth unterzeichneten vor geladenen Journalisten den
Kaufvertrag über das Betriebsgelände der einstigen Schweriner Großhandelsbetriebe für Haushaltswaren und Textilien. Der Bayreuther
Kaufmann wollte auf den Grundstücken »ein Gewerbe-
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