Abbau Ost
Zusammenhang mit dem sozialen Status und der Einkommenssituation. Bei den hohen Einkommen überwiegt »BRD-Orientierung«. Über
ein Drittel derer, »die angeben, sich als richtige Bundesbürger zu fühlen«, sind Beamte. Dagegen ist eine »starke DDR-Orientierung«
besonders bei den unteren Einkommen anzutreffen. Jeder Zehnte möchte die DDR wiederhaben. Zum großen Teil sind es Langzeitarbeitslose,
die sich nach den alten Verhältnissen zurücksehnen. Doch die größte Gruppe ehemaliger DDR-Bürger, beinahe zwei Drittel der
Befragten, möchte weder die DDR wiederhaben noch fühlen sich diese Menschen als richtige Bundesbürger. Ihre Situation ist
menschheitsgeschichtlich ohne Beispiel. Dieser seltsame Grenzzustand, den alten Staat verloren, zum neuen aber keinen rechten
Zugang gefunden zu haben, erinnert an das Lebensgefühl von Aussiedlern. Doch die meisten ehemaligen DDR-Bürger haben ihre
Heimat niemals verlassen, sie leben immer noch innerhalb ihrer früheren Staatsgrenzen, oft in denselben Dörfern und Städten,
in denselben Häusern und Wohnungen. Sie sind Ausländer im eigenen Land.
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|20| Mars Attacks!
Ich denke, dass während der DDR-Zeit tatsächlich so eine zarte
Bitternis in alles reinspielte, auch in das Schöne. Das wurde nur
scheinbar ausgetrieben durch den Radau des quietschbunten Betriebes
, der nach der Wende über uns kam. Allerdings wäre es
fatal, wenn man vergessen würde, dass es in der DDR neben dieser
Tristesse auch eine wild aufschäumende Vitalität gab. Unter den
repressiven Rahmenbedingungen brodelte das Leben.
Neo Rauch, im Interview mit dem ›Spiegel‹, Nr. 38/2006
Wird die frühe Kindheit einmal ausgeklammert, so wächst die Zahl ehemaliger DDR-Bürger, die mittlerweile länger unter den
Einflüssen des wiedervereinigten Deutschland leben als unter denen der DDR. Die stärkeren Eindrücke, weil existenziell bedrohlich,
haben die allermeisten ohnehin in der Bundesrepublik gesammelt. Zu den prägenden Erfahrungen ehemaliger DDR-Bürger zählen
weniger die Wendeeuphorie und die Währungsumstellung, als vielmehr die schnell einsetzende Ernüchterung. Ein ganzes, bereits
in Auflösung begriffenes Volk litt plötzlich unter einem eklatanten Mangel an Gelassenheit. Die Frustration gipfelte in der
späten Erkenntnis, dass sie damals alles Mögliche mit der gerade gewonnenen Freiheit anfangen konnten, der Zugang zu den westlichen
Märkten stand ihnen auch ohne die übereilte Preisgabe ihres Gemeinwesens offen. Doch zu diesem Zeitpunkt standen sie bereits
im Visier einer generalstabsmäßigen Übernahme. Eine fremde Zivilisation hatte sich in Stellung gebracht und errichtete auf
ostdeutschem Boden ihr gewohntes Lebensumfeld. Wenn sich irgendwo etwas Ostdeutsches regte, wurde aus allen Rohren gefeuert.
Existenzangst wurde zum bestimmenden Lebensgefühl.
Zwei Generationen sahen sich mit dem Niedergang von nahezu allem konfrontiert, woran sie geglaubt und wofür sie gearbeitet
hatten. Ob etwas Sinn machte oder nicht, ob sich Strukturen bewährt hatten oder nicht, ob Vorhandenes weit kostengünstiger
war als vermeintlich Neues, das war vollkommen egal. Ehemalige |21| DDR-Bürger spielten »Alte Bundesrepublik Deutschland«, und das untertänigst, in ständiger Angst um den Arbeitsplatz. Die Stimmung
sank unter den Gefrierpunkt. Noch heute gilt »ostdeutsch« als Makel und genügt für eine pauschale Ablehnung. Ein heute weltweit
gefragter Künstler wie der in Leipzig lebende Maler Neo Rauch wurde im wiedervereinigten Deutschland geschnitten. Erst internationale
Anerkennung verhalf ihm zu Aufmerksamkeit im eigenen Land, wobei weniger sein außergewöhnlicher Stil und seine Kunstfertigkeit
thematisiert werden als vielmehr die bemerkenswerten Verkaufserlöse, die seine Bilder im Ausland erzielen. Nur wenige ehemalige
DDR-Bürger hatten so ein Glück. Andere haben hart gearbeitet, waren wirklich gut in ihrem Beruf und haben dennoch nie einen
Fuß auf den Boden bekommen. Meistens war es reine Glückssache, wer beruflich und finanziell vom Wandel profitierte. Im Nachhinein
erscheint es geradezu grotesk, dass ausgerechnet die Staatsbediensteten einen guten Schnitt machten, während die Beschäftigten
der gewerblichen Wirtschaft mit Massenentlassungen zu kämpfen hatten. Vergleichsweise gut kamen Rentner weg, sowohl jene,
die bereits zum Zeitpunkt des Wandels im Ruhestand waren, als auch jene, die das Rentenalter im ersten
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