Abby Lyne 01 - Verbannt ans Ende der Welt
je gedacht hatte. Jeden Abend hatte sie die beiden hübschen Bänder hervorgeholt, liebevoll den schönen Stoff befühlt und sich in Träumereien verloren, die fern jeglicher Erfüllung, aber doch zu schön waren, um sie aufzugeben.
»Wir wissen, was du getan hast«, sagte Jonathan Chandler mit fester Stimme, »und Worte allein können unsere Schuld nicht begleichen. Schweig! Und lass mich ausreden! Ich werde ein Gesuch an den Gouverneur aufsetzen und ihn um deine vorzeitige Begnadigung bitten.«
»Gouverneur Bligh ist abgesetzt und hat nichts mehr zu sagen, das weißt du doch, Vater«, warf Andrew ungehalten ein, als könnte er nicht verstehen, wie sein Vater ihr Hoffnungen machen konnte, da er doch genau wusste, dass sich die Kolonie in einem Zustand der Rebellion befand.
Jonathan Chandler seufzte schwer. »Ja, das weiß ich sehr wohl, doch das ändert nichts an meinem Vorsatz. Ich will bei dir auch keine falschen Hoffnungen wecken, Abby, denn es ist wirklich nicht sehr wahrscheinlich, dass die Männer, die jetzt die Macht in dieser Kolonie ausüben, ein Begnadigungsgesuch von meiner Hand wohlwollend prüfen werden.«
»Diese Verräter am König werden es ganz bestimmt ablehnen!«, sagte Melvin bitter.
»Sicher werden sie das«, stimmte sein Vater ihm zu. »Aber Macarthur und seine Komplizen werden ihre Macht nicht ewig auskosten können. Unser König wird diese Rebellion nicht hinnehmen und die Anführer nicht ungestraft lassen, egal welche Gründe sie auch anführen mögen. Meuterei bleibt Meuterei, und darauf steht der Strick. Es wird also der Tag kommen, an dem man diese Rebellen-Clique verhaften und zur Rechenschaft ziehen wird und wir wieder einen rechtmäßigen Gouverneur haben. Und dann wird man alles, was die Herren Macarthur und Colonel Johnson gebilligt oder abgelehnt haben, mit sehr kritischen Augen prüfen. Ich bin sicher, dass Abby dann den Lohn bekommt, der ihr zusteht – nämlich die Freiheit!«
Abby war bewegt von seinen Worten, und ihre Stimme war belegt, als sie ihm für seine Großzügigkeit dankte.
»Hoffen wir, dass die Herrschaft der Rum-Rebellen nicht allzu lange dauert«, sagte Melvin. »Aber ein Jahr wird bis dahin mindestens vergehen. Es könnten auch gut zwei werden. Darauf sollten wir uns alle einstellen.«
»Ein Jahr geht schneller um, als man denkt, mein Sohn«, erwiderte Jonathan Chandler, und zu Abby gewandt sagte er: »Für mich und für meine Söhne bist du auf jeden Fall nicht länger ein Sträfling mehr, ob meinem Gesuch nun stattgegeben wird oder nicht. Deshalb erhältst du auch von heute an Lohn für deine Arbeit. Keine Widerrede! Und nun lass mich allein. Ich brauche Ruhe zum Schreiben.«
Abby ging mit Melvin und Andrew hinaus. Als sie im Schatten des Vordaches standen, sagte Melvin: »Bis wir nach Sydney zurückkehren können und Sarah dort ihren Unterricht wieder aufnehmen kann, wird also einige Zeit ins Land gehen.
Unsere Schwester wird deshalb mehr denn je auf dich angewiesen sein, nicht wahr, Andrew?«
Andrew brummte eine mürrische Zustimmung.
»Ich glaube, es ist deshalb auch ganz im Sinne unseres Vaters«, fuhr Melvin fort, »wenn du dich von nun an nur noch um Sarah kümmerst und dafür den Lohn erhältst, der einer Erzieherin zusteht.«
»Das ist wirklich sehr großzügig, und ich werde auch weiterhin für Sarah da sein und sie unterrichten«, erwiderte Abby.
»Doch ich möchte nicht den ganzen Tag im Haus verbringen, sondern wie sonst auch auf den Feldern arbeiten und mich um die Tiere kümmern.«
Melvin runzelte verwundert die Stirn. »Aber das brauchst du doch jetzt nicht mehr, Abby. Das mit der Begnadigung ist nur eine Formsache, die für uns nicht von Bedeutung ist.«
»Ich weiß. Aber auch wenn ich frei wäre, würde ich mich nicht als Erzieherin verdingen«, beharrte Abby. »Bitte verstehen Sie mich nicht falsch. Es macht mir Freude, mich mit Sarah zu beschäftigen, hab ich sie doch in mein Herz geschlossen. Doch es würde mich … unglücklich machen, wenn ich mich nur auf Unterricht, Handarbeiten und derlei Dinge beschränken müsste.«
»Sag bloß, du liebst die Arbeit auf der Farm genauso wie Andrew und mein Vater?«, fragte Melvin ungläubig.
Abby nickte und spürte Andrews Blick auf sich ruhen. »Ja, sehr sogar.«
»Tja, wenn das so ist, steht es dir natürlich frei, auch auf der Farm zu arbeiten«, sagte Melvin. »Aber das besprichst du dann am besten mit meinem Bruder.«
Andrew wartete, bis sich Melvin entfernt hatte. »Ich
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