Abby Lyne 01 - Verbannt ans Ende der Welt
glaube, keiner wird so richtig klug aus dir«, sagte er dann.
»Wieso nicht?«
»Du hast doch gehört, was mein Vater und mein Bruder gesagt haben. Du könntest es dir leicht machen auf Yulara und du hättest es auch verdient.«
»Ich habe es mir leicht gemacht, Andrew.«
Er blickte sie skeptisch an, als rätselte er über ihre Beweggründe. »So?«
»Ja. Sie hängen sehr an Ihrer Schwester, nicht wahr?«
Eine steile Falte bildete sich auf seiner Stirn. »Natürlich! Aber was hat denn das mit dir zu tun?«
»Wie lange würden Sie es dann aushalten, wenn Sie Tag für Tag im Kinderzimmer oder auf der Veranda damit verbringen müssten, Rechenaufgaben zu stellen, Diktate und Gedichtvortrag zu üben, Geschichten vorzulesen, Unterricht in Handarbeiten zu geben und Spiele zu spielen?«, fragte sie ihn.
Er lachte. »Himmel, nicht einen Tag würde ich das durchstehen. Aber du bist ein Mädchen!«
»Sarah ist ein Mädchen!«, erwiderte Abby wie aus der Pistole geschossen. »Ich bin achtzehn, Andrew! Und ich wünsche mir kein Leben als Kindermädchen oder Erzieherin. Bevor ich nach Australien kam, habe ich von der Arbeit auf einer Farm nichts gewusst und mir auch nie vorstellen können, dass mir so etwas Freude machen würde. Doch jetzt, nach fast drei Jahren auf Yulara, kann ich mir nichts Schöneres vorstellen. Ist das so schwer zu verstehen?«
Andrew sah sie verblüfft an. »Ich glaube, dir ist wirklich ernst damit.«
»Ja, das ist es.«
Er sah sie einen Augenblick nachdenklich an. »Das freut mich, Abby. Also gut, dann komm. An Arbeit mangelt es uns hier wirklich nicht.«
Sie gingen über den Hof und Andrew berichtete ihr von seinen neuen Plänen. Als sein Blick auf die Pferdekoppel fiel, blieb er unvermittelt stehen. »Bist du noch immer so versessen darauf, Samantha zu reiten?«, fragte er.
»Aber ja! Wollen Sie doch noch mit mir um die Wette scheren?«, fragte sie spöttisch zurück.
»Nein. Das ist nicht mehr nötig. Du kannst sie reiten, Abby. Wann immer du willst.«
»Einfach so?« Abby konnte es nicht glauben.
Er nickte. »Ja, einfach so.« Und bevor sie noch etwas erwidern oder fragen konnte, winkte er einen der Sträflinge heran und ließ sich von ihm berichten, ob die Schafe auf der Südweide auch noch genug Wasser und Futter fanden.
Vierundzwanzigstes Kapitel
Nach Melvins gelungener Flucht aus Sydney lebte seine Familie in Sorge und banger Erwartung, welche Maßnahmen die neue Regierung der Rebellen wohl gegen ihn ergreifen würde. Um für den schlimmsten Fall gerüstet zu sein, wurde auf der anderen Seite des Flusses ein sicheres Versteck gesucht, gefunden und mit allem Nötigen ausgerüstet, sodass Melvin sich dort notfalls lange und ohne viel Entbehrungen vor einem ausdauernden Suchtrupp verbergen konnte. Es wurde auch ein ständiger Wachposten auf View Point Hill, der höchsten Erhebung um Yulara, eingerichtet, damit sich niemand unbemerkt der Farm nähern und Melvins Flucht über den Hawkesbury vereiteln konnte.
Nur die vertrauenswürdigen Sträflinge wurden zu diesem Wachdienst eingeteilt. Abby beteiligte sich ebenso daran wie Andrew und Rosanna. Vier Stunden mussten sie dort auf der Kuppe des Hügels unter der sengenden Sonne ausharren und das Land ringsum immer wieder mit dem Fernrohr absuchen, während ein Pferd am Fuß des Hügels im Schatten einer kleinen Baumgruppe für den Notfall bereitstand. Es waren vier lange, sehr ermüdende Stunden, nach denen jedem Posten die Augen schmerzten.
Drei Tage, nachdem John und Rachel Yulara verlassen hatten, schlug der Posten Alarm. Wild schwenkte er die Signalfahne, die Abby aus einem Reststück roten Stoffes genäht hatte. Melvin befand sich schon auf der anderen Flussseite, als der Posten vor dem Farmhaus aus dem Sattel sprang.
»Vier Reiter, Sir!«, meldete er Jonathan Chandler aufgeregt.
»Verdammte Rotröcke, Sir, der Teufel soll diese Blutsauger holen!«
»Ist gut, Glenn. Gehen Sie in die Küche, und lassen Sie sich von Rosanna einen kühlen Trunk und eine handfeste Stärkung geben. Lester wird sich schon um das Pferd kümmern.«
Der bullige Sträfling grinste breit. »Mit Vergnügen, Sir.« Er übergab die Zügel dem jungen Lester und beeilte sich, dass er zu Rosanna in die Küche kam, die bei ihren Mitsträflingen ohne Ausnahme beliebt war.
Andrew blieb bei seinem Vater und wartete auf die Ankunft der Soldaten. Sie sprachen kein Wort, denn jeder wusste, was den anderen bewegte.
Es dauerte eine gute halbe Stunde, bis die
Weitere Kostenlose Bücher