Abby Lyne 01 - Verbannt ans Ende der Welt
Mal Brot, Käse und Fleisch gleichzeitig auf dem Küchentisch gehabt?
Sie saß da, das angebissene Stück Schweinebraten in der Hand, und die Tränen liefen ihr über das dreckverschmierte Gesicht.
»Was ist?«
»Meine Mutter …«
Frederick verstand. »Sorg dich nicht um sie. Auch sie hat zu essen. Wir kümmern uns um sie.«
Abby schaute ihn mit feuchten Augen an. »Wir? … Wer ist wir?«
»Freunde von Edward. Wir halten zusammen. Wenn einer von uns in Schwierigkeiten gerät, kümmern wir uns um ihn und um seine Angehörigen … wenn er welche hat.« Er hielt seine Stimme so leise, dass sie nicht bis zum Wärter drang.
»Edward heißt er also.« Abby fuhr sich mit dem Handrücken über die Augen, in denen es nun aufblitzte. »Und Sie gehören zu seinen Freunden, ja? Oder wollen Sie sagen, dass Sie zur selben Bande von Taschendieben gehören?« Aufwallender Zorn schwang in ihrer Stimme mit.
Unter ihrem plötzlich feindseligen Blick zuckte er nur mit den Achseln. Eine vage, fast schon verlegene Geste, die ihren Verdacht jedoch bestätigte. Edward und Frederick waren Mitglieder von einer der organisierten Banden, die London und die Überlandstraßen unsicher machten. Seiner Kleidung und seinem Auftreten nach zu urteilen, musste Frederick zu den Wortführern der Bande zählen.
»Ihr Freund Edward weiß, dass man mich für seine Komplizin hält und deshalb ins Gefängnis geworfen hat, nicht wahr?«, fragte Abby scharf. »Er hat mich in diese entsetzliche Lage gebracht …«
»Daran kann keiner mehr etwas ändern!«
Abby sah ihn ungläubig an. »Wie können Sie es wagen, mir so etwas …«, begann sie.
Er unterbrach sie. »Was Edward getan hat, war ein dummer, ja, unverzeihlicher Fehler, aber er ist geschehen und nicht mehr rückgängig zu machen.«
»Ein Fehler?« Abby schüttelte den Kopf. Sie konnte es einfach nicht fassen, wie kaltschnäuzig dieser fremde Mann über das ihr angetane Unrecht sprach. »Ein Fehler?«
»Ja, genau das!«, bestätigte Frederick hart, ohne sich von ihrem unverhohlenen Zorn beeindrucken zu lassen. »Edward hat einen simplen Fehler begangen, der für dich natürlich schreckliche Folgen hat. Er hätte einen Unbeteiligten nicht in die Sache verwickeln dürfen. Doch er war wohl in Panik und hat kopflos gehandelt.«
»Oh, ich dachte schon fast, ich sollte für mein Schicksal auch noch dankbar sein«, sagte Abby mit bitterem Hohn.
»Ich kann verstehen, wie dir zu Mute ist …«
»Das glaube ich nicht!«
»… doch das ändert nichts an den Tatsachen«, fuhr Frederick ruhig fort. »Was geschehen ist, ist geschehen – und lässt sich nicht mehr ändern.«
»So einfach ist das?« Abby hatte die Hände zur Faust geballt und kämpfte mit den Tränen.
Er sah ihr fest in die Augen. »Ja, so entsetzlich einfach ist es, Abby.«
Schweigend starrte sie ihn an. Dann fragte sie: »Warum ist Edward nicht gekommen, um mir das zu sagen?«
»Edward ist längst nicht mehr in London. Er wird von anderen Freunden versteckt, bis Gras über diese Sache gewachsen ist«, erwiderte Frederick kühl. »Es tut ihm Leid, dass du jetzt für ihn büßen musst. Aber es ist nicht seine Schuld, dass die Leute deinen Unschuldsbeteuerungen nicht glauben. Vor allem ist er kein Märtyrer. Oder glaubst du vielleicht ernstlich, er würde sich stellen und das Risiko auf sich nehmen, für den Diebstahl möglicherweise gehängt zu werden?«
»Aber dass ich hier verrecke und vielleicht für sein Verbrechen gehängt werde, das ist nicht weiter schlimm, ja?«, brach es schrill und mit ohnmächtigem Zorn aus Abby heraus. »Ich bin auch kein Märtyrer!«
»Es wäre ein tragischer Irrtum … einer unter tausend anderen«, antwortete er gelassen.
»Wie kann man nur so etwas Gemeines sagen«, flüsterte sie mit rauer Stimme.
»Es mag herzlos und gemein klingen, Abby, aber so meine ich es nicht. Ich will dir nur vor Augen halten, wie sinnlos es für einen von uns ist, sich gegen die Mühlen der Justiz zu stellen. Recht oder Unrecht! Wer fragt denn schon danach, wenn du kein Geld in der Tasche hast und nichts bist! Und wenn du zehnmal unschuldig bist!« Er hatte erregt gesprochen, räusperte sich nun und fuhr dann mit nüchternem Tonfall fort:
»Außerdem wird man dich dafür nicht hängen.«
»Woher wollen Sie das wissen?«
»Du bist noch nicht alt genug für den Strick. Wenn du so alt wärst wie Edward, wäre das was anderes. So aber brauchst du den Henker nicht zu fürchten. Zu welcher Strafe man dich auch
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