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Abby Lyne 01 - Verbannt ans Ende der Welt

Abby Lyne 01 - Verbannt ans Ende der Welt

Titel: Abby Lyne 01 - Verbannt ans Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
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Irgendwann gegen Mittag ging plötzlich ein heftiger Ruck durch den Wagen. Es krachte. Im nächsten Augenblick hörten sie das scharfe Splittern von Holz – und der Kastenwagen kippte nach hinten auf die rechte Seite.
    »Das Rad ist gebrochen!«, übertönte jemand das allgemeine Geschrei und Gefluche. »Jetzt sitzen wir fest!«
    Wenig später wurden die Türen aufgerissen und alle mussten aus dem Wagen in den Regen. Schon nach den ersten Minuten waren sie bis auf die Haut durchnässt. Die Straße war, wie Rachel geahnt hatte, völlig aufgeweicht, und sie versanken mit den schweren Ketten an den Füßen bis tief über die Knöchel im Dreck, als eine Abteilung des Wachpersonals sie von der Landstraße weg auf einen Acker führte.
    Dort mussten sie stundenlang warten und im Regen ausharren, bis zwei Berittene einen Handwerker aus dem nächsten Dorf geholt hatten und der Schaden behoben war. Als es endlich weiterging, waren sie total durchgefroren.
    Abby dachte immer wieder an das Baby, das immer stiller geworden war und während der Stunden auf dem Acker ganz reglos im Schoß seiner Mutter gelegen und mit leerem Blick in den grauen Himmel gestarrt hatte. Es erschien ihr wie ein Wunder, dass das Kind noch lebte.
    »Morgen sind wir in Portsmouth! Bis zum Hafen sind es keine zwanzig Meilen mehr!«
    Diese Nachricht, die irgendein Sträfling von einem der Wachposten aufgeschnappt hatte, machte am Abend schnell die Runde. Zum ersten und einzigen Mal während dieser schrecklichen Fahrt hatten sie ein wirklich trockenes Dach über dem Kopf. Es war eine große, leere Scheune, die zu einem Gehöft gehörte, das erst vor kurzem bis auf die Grundmauern niedergebrannt war.
    »Wenn wir doch hier nur die Nacht verbringen dürften«, wünschte Abby, denn sie wusste, dass sie nachher wieder in den Wagen kriechen mussten. »Aber immerhin haben wir es morgen hinter uns …«
    »Fragt sich nur, was dann kommt«, blieb Rachel skeptisch und hustete.
    »Du hast dich erkältet. Hier, nimm meinen Umhang. Du musst dich jetzt warm halten!«
    Rachel wies den Umhang zurück. »Kommt gar nicht in Frage. Es ist nichts weiter als eine leichte Verkühlung. Hab schon ganz anderes überstanden. Mach dir also wegen mir keine Sorgen. Brauche nur eine heiße Fleischsuppe und zwei Tage Schlaf in einem weichen Federbett, und ich bin wieder putzmunter«, spottete sie.
    Rachel hustete die ganze Nacht, und sie war nicht die Einzige. Doch erst als Abby am nächsten Morgen den fiebrigen Glanz in den Augen ihrer älteren Freundin und die vielen kleinen Schweißperlen auf ihrem Gesicht bemerkte, begann sie sich ernstlich um sie zu sorgen. Rachel war krank, daran gab es keinen Zweifel.
    »Keine Angst, ich schüttle so was schnell ab«, versicherte sie ihr und bemühte sich um ein zuversichtliches Lächeln, das jedoch nicht sehr überzeugend ausfiel.
    Es hatte endlich zu regnen aufgehört. Die dunklen, tief hängenden Regenwolken hatten sich verzogen. Ein sonnigblauer Frühlingshimmel spannte sich über die Küste um Portsmouth, und die warmen Temperaturen ließen die feuchtkalten Nächte zu einer unangenehmen Erinnerung verblassen. Doch die Folgen dieser drei Tage und Nächte in Regen und Kälte ließen sich nicht so leicht abschütteln.
    Als die Wagenkolonne den Hafen von Portsmouth erreichte und auf der India-Pier hielt, war es früher Nachmittag. Die Wagen spien einer nach dem anderen ihre stinkende Fracht aus. Abgerissene, hohlwangige Gestalten in Lumpengewändern, an denen sich zum Teil schon Schimmel gebildet hatte.
    Die Seeleute, die die Sträflinge unter Bewachung von Marinesoldaten in Langbooten zu den drei auf Reede liegenden Schiffen der East India Company rudern mussten, waren alles andere als zimperliche Gesellen mit empfindlichen Nasen, und dasselbe galt für die Rotröcke, die Soldaten. Doch so manch einer zog es vor, nur durch den Mund zu atmen, um dem Gestank der Deportierten zu entgehen.
    Als Abby mit Rachel aus dem Wagen stieg und darauf wartete, einem der Boote zugewiesen zu werden, vergaß sie für eine kurze Weile, wer sie war und warum sie sich hier befand.
    Mit staunenden Augen nahm sie das Bild auf, das sich ihr bot.
    Portsmouth war der Hauptstützpunkt der Kriegsmarine und übertraf mit seinen vielen königlichen Docks und Werften jeden anderen Hafen Englands. Doch auch was den Überseehandel betraf, brauchte Portsmouth keine Konkurrenz zu fürchten. Es gab kaum eine bedeutende Reederei, die nicht hier ihr Hauptkontor hatte und ihre

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