Abby Lyne 01 - Verbannt ans Ende der Welt
keinen Mangel. Doch wenn sie auf See waren, würde es anders aussehen.
»Aber trocken ist es und sauber«, wandte eine andere Stimme ein.
»Ja, noch! Lass uns mal in den ersten Sturm kommen! Dann reden wir noch mal darüber!«
Abby hörte nicht länger auf das Gerede der anderen, denn sie hatte endlich eine Reihe mit freien Pritschen erreicht. »Leg du dich hier unten hin«, sagte sie. »Ich nehme die Koje über dir.«
»Danke, Abby«, sagte Rachel schwer atmend und sank auf die harten Bretter. »Ich muss mich nur etwas ausruhen, verstehst du. Morgen geht es mir schon besser, du wirst sehen …«
»Ja, ganz bestimmt«, antwortete Abby und die Worte blieben ihr fast im Hals stecken.
Rachel sah die Sorge in Abbys Augen. »Schau mich nicht so an, als wären meine Tage schon gezählt, Kleine! So schnell bin ich nicht kleinzukriegen, darauf hast du mein Wort. Ich denke doch nicht daran, mir diese Seereise entgehen zu lassen, zumal mir die Admiralität die Passage bezahlt!«
Abby rang sich mühsam ein Lächeln ab. Rachel versuchte sie aufzumuntern, dabei war ihr die Krankheit deutlich ins Gesicht geschrieben. »Ich werd schon aufpassen, dass du Wort hältst!«, sagte sie.
Rachel nickte und schloss erschöpft die Augen. Kurz darauf fiel sie in einen unruhigen Schlaf. Abby blieb an ihrer Koje sitzen, obwohl sie nichts für sie tun konnte. Nur warten und hoffen.
Lautes verzweifeltes Schluchzen drang durch das Stimmengewirr zu ihr in den hinteren Teil der Sträflingsunterkunft.
Abby blickte sich noch einmal um. Erst später erfuhr sie von Megan, dem irischen Mädchen, dass man der jungen Frau das Baby weggenommen hatte. Das Kind musste schon in der Nacht gestorben sein, denn es war schon ganz kalt und steif gewesen. Man hatte es ihr mit Gewalt aus den Armen nehmen müssen.
Elftes Kapitel
Der Mittelgang bleibt frei, verdammt noch mal!«, brüllte Sam Harrow, ein breitschultriger Mann von gedrungener Statur und kantigen Gesichtszügen, der unter den Gefangenenwärtern das Kommando führte. Sein dichtes, schwarzes Haar war streng nach hinten gekämmt und im Nacken zu einem geteerten Zopf gebunden. »Zurück mit euch! Habt ihr nicht gehört? Weg vom Gitter und zwischen die Kojen, sonst verschaffe ich euch ‘ne Nacht mit leerem Magen!«
»Ob mit oder ohne euren Schweinefraß, was macht das für einen Unterschied?«, erwiderte eine zornige Stimme aus der Menge der Frauen, die sich mit ihren Blechnäpfen in den Gang gedrängt hatten, als am Abend drei Wärter mit einem Kessel Suppe und einem Sack Brot vor der Gittertür zur Sträflingsunterkunft aufgetaucht waren. Sie wurden begleitet von vier Marinesoldaten, die nun neben dem Gitter Aufstellung nahmen, die Flinten mit aufgepflanzten Bajonetten fest umklammert, als fürchteten sie, einem Aufstand der Gefangenen mit Waffengewalt begegnen zu müssen.
Bei den Soldaten vom News South Wales Corps handelte es sich im Gegensatz zu den Wärtern um junge Männer. Ihren angespannten Gesichtern und unruhigen Blicken konnte man unschwer entnehmen, dass sie sich alles andere als wohl in ihrer Haut fühlten und bestimmt noch keine Erfahrung im Umgang mit Sträflingen hatten. Sträflinge, die sich wie eine wilde, hungrige Meute hinter dem Gitter drängten, mit den Blechnäpfen wütend gegen die Bettpfosten schlugen und schrill durcheinander schrien.
»Zum letzten Mal! Zurück!«, brüllte Sam Harrow und übertönte mit seiner durchdringenden, scharfen Stimme den tumultartigen Lärm.
Das Geschrei sank zu einem zornigen Gemurmel herab, während die Sträflinge widerstrebend vom Gitter abrückten, den Mittelgang freimachten und sich zwischen den Bettreihen aufstellten.
Ein schwerer Schlüsselbund rasselte. Sam Harrow entriegelte die Gittertür und stieß sie nach innen auf. Mit einer knappen Kopfbewegung bedeutete er seinen Männern, die Brotsack und Suppenkessel trugen, ihm zu folgen.
Abby rüttelte Rachel an der Schulter. »Du musst aufstehen. Es gibt Essen!«
Rachel öffnete die Augen, die fiebrig glänzten, und schüttelte den Kopf. »Keinen Hunger«, murmelte sie.
»Du musst aber etwas essen!«
»Ich kann nicht. Lass mich … bitte.«
»Gut, bleib liegen. Ich sorge schon dafür, dass sie mir auch eine Portion für dich geben«, sagte Abby, nahm Rachels Blechnapf in die andere Hand und stellte sich hinter Megan, die im dritten Bett über ihr schlief.
Megan drehte sich zu ihr um. »Hoffentlich tun sie das auch«, sagte sie skeptisch.
»Sie müssen!«, erwiderte
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