Abdahn Effendi. Kleinere Erzählungen
worauf sie mit lautem Wiehern davonschoß. Meine Frau nannte der Witwe unsern Namen und unsere Wohnung in Jerusalem und bat sie, uns dort auf alle Fälle aufzusuchen; wir würden uns aufrichtig und herzlich freuen, sie und ihr Töchterchen wiederzusehen. Sie versprach es zu tun und die Art und Weise, in der sie dies versicherte und sich von uns verabschiedete, gab uns gute Gewähr, daß sie Wort halten werde. Dann ritten sie davon, Thar einzuholen. Wir beide aber machten eine kurze Fußpartie durch die Umgegend, doch so, daß wir jede Begegnung vermieden. Als wir dann das Rendezvous erreichten, wartete Thar schon auf uns.
»Sie sind arm, sehr arm,« sagte er. »Darum bin ich zum Hospitz gerritten, um für sie zu sorgen, doch ohne daß sie es erfahren.«
»Wissen sie deinen Namen?« fragte ich.
»Ja.«
»Und wie dein Vater heißt?«
»Nein. Du weißt doch, daß der Prophet sagt: Wer der Armut gibt, der gebe alles, nur nicht seines Vaters Namen. Ich finde sie auch ohnedies in Jerusalem wieder; darauf kannst du dich verlassen.«
Bald darauf stellte Mustafa Bustani sich mit dem Wagen ein. Er freute sich sehr, als er hörte, daß uns und seinem Sohne von seiten der Bevölkerung nichts geschehen sei, und teilte uns mit, daß es verschiedene Zusammenstöße zwischen Muselmännern und Juden gegeben habe. Er selbst war so ärgerlich über die Ungastlichkeit seines Geschäftsfreundes gewesen, daß er ausgeschlagen hatte, mit ihm zu essen. Nun hatte er Hunger. Darum suchten wir, sobald wir eingestiegen waren und der Wagen sich wieder in Bewegung setzte, alles Eßbare zusammen, was wir früh mitgenommen hatten, und hielten ein sogenanntes Abendessen »auf vier rollenden Rädern.«
Während der Heimfahrt ereignete sich nichts, was wichtig genug wäre, erzählt zu werden. Höchstens könnte ich sagen, daß wir, als wir das Wadi el’ Arrub erreichten, wieder halten ließen, um in dem dort liegenden Café einzukehren. Der Wirt kam heraus und fragte nach unsern Wünschen, aber in sehr gemessener Weise.
»Fünf Tassen!« befahl Mustafa Bustani. Sie wurden gebracht und getrunken. Dann zog ich den Beutel.
»Wieviel kosten die fünf?« fragte ich.
»Grad einen halben Franken,« antwortete er.
»Und die fünfzehn am Vormittage?«
»Anderthalb Franken.«
»Die zwanzig also zusammen?«
»Zwei Franken.«
Ich gab ihm nur die zwei Franken, keinen einzigen Para mehr.
»Hier! Fertig!«
Da griff er rasch zu, steckte das Geld eben so schnell in die Tasse und machte eine tiefe und, wie ich glaube, diesmal wirklich aufrichtige Verbeugung und sagte. »Ich danke dir, Effendi! Du bist gerecht und klug. Eure Heimfahrt sei gesegnet!«
Und sie war auch gesegnet. Mustafa zürnte dem Fanatismus seiner Glaubensgenossen und hatte nichts dagegen, daß sein Sohn fast während der ganzen Fahrt von der kleinen Christin schwärmte. Als Bethlehem vor uns auftauchte, holte er tief Atem und sagte:
»Es ist viel Liebe und viel Güte von diesem kleinen Städtchen ausgegangen, mehr als von all unsern großen, hochberühmten Wallfahrtsorten. Heute wurde ich einmal recht schonungslos und aufrichtig an meinen eigenen Zelotismus erinnert. Was hast du den Hebroniten getan? Nichts. Und doch verstoßen sie dich! Welch eine Lieblosigkeit und Ungerechtigkeit! Und was hatte mein Bruder mir getan? Nichts. Und doch verstieß ich ihn, ihn, meinen leiblichen Bruder! Ich war also noch viel liebloser und noch viel ungerechter als die Kananiter von El Chalil! Er ist mir nicht aus dem Sinn gekommen – während des ganzen Nachmittags – bis jetzt, da es Abend wird.«
»Wie hieß er?« fragte meine Frau.
»Achmed Bustani. Ihr hört, daß wir es fast auch schon zu Familiennamen gebracht haben. Ich habe keinen größeren Wunsch, als daß er noch lebt und sich von mir finden läßt!«
»Würdest du dein Vermögen wirklich mit ihm teilen?«
»Natürlich, sofort! Nicht allein deshalb, weil ich es der Sterbenden versprochen habe, sondern weil es auch mir selber Bedürfnis ist. Es liegt seit jenem Traum etwas ganz Eigentümliches in mir, was mich jetzt während der Rückkehr mehr als sonst beschäftigt. Es ist, als ob da draußen am ›Brunnen Abrahams‹ etwas Unsichtbares mit euch zu mir in den Wagen gestiegen sei, was mich ergriffen hat und mich nicht wieder loslassen will. Vielleicht ist es weiter nichts, als nur die Erinnerung an gut zu machendes Unrecht. Aber sonderbar, es quält mich nicht, es tut mir vielmehr wohl; es befriedigt mich; es gräbt sich in mich ein,
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