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Abdahn Effendi. Kleinere Erzählungen

Abdahn Effendi. Kleinere Erzählungen

Titel: Abdahn Effendi. Kleinere Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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    »Du magst diesen Deutschen, diesen Christen nicht; aber glaube mir, er hat heute dich und viele andere aus großer Gefahr gerettet. Und nun höre, was ich dir sage: Du hast deinen Befehl zurückgenommen, aber ich traue dir nicht. Ich gebe dir genau einen Monat Zeit. Wenn du dann noch Pascha bist und Damaskus nicht verlassen hast, so bist du mir, dem Scheik der Aussätzigen, für immer verfallen. Jetzt fort mit dir!«
    Der Kreis der Aussätzigen öffnete sich; zugleich stellte sich der Scheik, als ob er nach dem Pascha fassen wolle; da tat dieser einen Schreckenssprung, der ihn aus der unmittelbaren Nähe der Gefahr brachte, eilte schleunigst davon und wurde nicht mehr gesehen.
    Ich war natürlich nicht auf der Straße stehen geblieben, sondern herbeigekommen. Jetzt stand ich unmittelbar neben dem Scheik. Ich sah den großen Haufen infizierter Lumpen liegen. Mich schauerte bei seinem Anblicke und bei dem Gedanken an den Zweck, dem er hatte dienen sollen. Er sah es, lächelte und sprach:
    »Effendi, wir hatten teuflische Gedanken, weil wir teuflisch verhandelt werden sollten. Schenke mir einen einzigen deiner Weihnachtsbäume! Er genügt, uns alle von dieser Sünde zu erlösen. Willst du?«
    Ich nickte. Da wurde einer der Bäume zur Seite geschafft und mit all den ekelhaften Fetzen behangen. Sie wurden von dem Talg der Weihnachtslichter durchtränkt und von den Flammen ergriffen. Ihre Lohe stieg hoch empor, sank aber bald wieder nieder. Der Gestank, den sie verbreiteten, verflog. Die letzten Reste der überwundenen Unmenschlichkeit wurden von den letzten hin-und herperlenden Fünkchen verzehrt; dann brach und floß alles in Asche in nichts zusammen. Als dies geschehen war, rief der Scheik mit weithin schallender Stimme:
    »Wir sind erlöst! Der Pascha ist besiegt, mit ihm auch unsere Rache! Er sagte zwar, daß wir keine Weihnacht brauchen, doch wäre er heute nicht zu uns gekommen, so hätten wir uns wohl rächen, nicht aber retten können. Die Rettung aber steht hoch über der Rache, so weit die Erde und so weit der Himmel reicht. Der Gestank, den die Vernichtung unserer Gedanken hier verbreitete, hat sich verzogen. Wir atmen wieder den reinen, heiligen Duft der Weihnachtsbäume. Die Liebe darf nun geben und die Dankbarkeit darf nehmen. Kommt her zu mir und freut euch an den Gaben, die man uns bringt, weil man uns liebt, nicht aber, weil der Koran es befiehlt. Die Bescherung kann beginnen!«
    Einen Monat später war der Pascha versetzt und sein Nachfolger bereits nach Damaskus unterwegs.

Abdahn Effendi
Reiseerzählung von Karl May
    Was ich heut so öffentlich erzähle, war bisher ein tiefes Geheimnis. Und dennoch war es keines, weil es sich vor allen Augen und Ohren vollzog, die sehen und hören wollten. Viele berufene und unberufene Menschen gaben sich Mühe, das Rätsel zu lösen, doch stets vergeblich, weil sie selbst mit im Geheimnis standen, ohne daß sie es glaubten oder wußten. Keiner von ihnen allen brachte es fertig, sich aus diesem Geheimnisse herauszustellen, um die ganze, unsaubere Bande zu durchschauen, die aus fünf Personen bestand, die in Summa nur drei Namen hatten, nämlich zwei Achmed Agha, zwei Selim Agha und Abdahn Effendi, der eigentliche Gebieter.
    Die vier Agha waren Offiziere; der Effendi aber war Zivilist und zugleich der dickste Mensch, den ich in meinem Leben gesehen habe. Er betrieb die Viehzucht, die Landwirtschaft, die Bäckerei, die Fleischerei, die Fischerei, die Jagd, die Gastwirtschaft, den Binnen-und Außenhandel und war zu gleicher Zeit der Schech el Beled, der Kadi, und der Imam (Schultheiß, Richter und Geistlicher) der weit ausgedehnten Landschaft Dschan, durch die sich die türkisch-persische Grenze zieht. Daher der Titel Effendi, den er von jedermann verlangte und auch wirklich zugesprochen erhielt. Dschan liegt sehr hoch, im Süden des kurdischen Gebirges. Dort ragen die Berge von Uluhm empor, zwei Reihen zum Teil scharf abgegrenzter, zum Teil auch ineinander fließender Höhen, die immer parallel miteinander, von Nordwest nach Südost verlaufen, und zwischen sich ein langes, vielgewundenes, tief und steil eingeschnittenes Tal bilden, auf dessen Sohle ein sehr fischreiches Wasser fließt. Die Fische gehörten dem Effendi. Er behauptete das. Und er hatte gedroht, einen jeden niederzuschießen, der sich an einer einzigen Flosse zu vergreifen wage! Die Berge von Uluhm sind, ebenso wie das zwischen ihnen liegende Tal, sehr dicht mit Busch und Wald bestanden, worin es Wild

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