Abdahn Effendi. Kleinere Erzählungen
Zunge legt?«
»Du darfst – – du sollst – – ja, du mußt es sogar tun!«
»Ich danke dir! Ich habe dich verstanden und du auch mich!«
Er ging von Gruppe zu Gruppe seiner Leute, um ihnen zu sagen, was er wünsche. Dann kehrte er nach seinem Platz vor den Bäumen zurück und gab das Zeichen, mit dem Gesange anzuheben.
Er begann. Es war eines jener Lieder des arabischen Dichters Kadar, deren Klang die Tränen zwingt, aus der tiefsten Tiefe in die Augen emporzusteigen. Als es zu Ende war, weinten die Aussätzigen alle, nur ihr Scheik nicht. Er, der Moslem, begann seine Weihnachtsrede. Er sprach von der Qual des Menschenlebens im allgemeinen und von der Qual der Aussätzigen und Ausgesetzten im besondern, die beide kein Ende nehmen. Er sprach von der Grausamkeit der menschlichen Gesetze und von der Erbarmungslosigkeit derer, die Liebe geben sollen und doch keine haben. Er sprach in so überzeugender und so hinreißender Weise, daß es alle Anwesenden ergriff und selbst auch mich erschütterte und durchschauerte. Zuletzt rief er:
»Und wenn die Not am allergrößten ist, wenn nirgends Hilfe, nirgends Rettung winkt, wenn wir vergeblich uns an Mohammed und auch erfolglos uns an Allah wenden, so kommt der Christ mit seinem Stern von Bethlehem, mit seiner heiligen Weihnachtskunde, mit seiner Liebe, seiner Herzensgüte und rettet uns aus aller – – –«
Er kam nicht weiter; er wurde unterbrochen. Nämlich derselbe Mann in der seitwärts stehenden Gruppe, der schon einmal gesprochen hatte, sprang plötzlich jetzt herbei, zwischen den Aussätzigen hindurch, blieb vor ihm stehen und schrie zornig an:
»Schweig, Hallunke! Du hast mich gerührt mit deinen Bäumen, deinen Lichtern, deinen Klagen. Auch wir sind Menschen. Wir brauchen keine Weihnachten – –«
»Aber wir!« unterbrach ihn der Scheik, ohne sich einschüchtern zu lassen.
»Auch ihr nicht! Denn ich nehme meinen Befehl zurück. Ihr werdet nicht eingesperrt und nicht in die Wüste geschafft. Es bleibt so, wie es war und wie es ist!«
Das geschah so plötzlich und so schnell, daß man erst rundum den Ruf der Überraschung hörte: »Der Pascha – der Pascha – der Pascha ist es selbst!«
»Ja, ich bin es selbst!« antwortete er, sehr befriedigt von dem Schreck, den er verbreitete. Und sich an unseren Jacub Afarah wendend, fuhr er fort: »Die Aussätzigen wurden bewacht; ich traute ihnen nicht! Auch deinem Deutschen nicht, der bei dir wohnt und täglich mit ihnen redet. So erfuhr ich von eurer Bescherung und kam in eigener Person hieher, um euch zu beobachten. Danke Allah, daß meine Seele dir nicht übel will! Diese aussätzigen Schurken wagten, sich gegen meine Befehle zu empören. Es hätte mich nur einen Wink gekostet, sie zu vernichten, aber um diesem Christen dort, deinem Gast, zu beweisen, daß – –«
Jetzt war er es, der nicht weitersprechen konnte, weil er vom Scheik unterbrochen wurde.
»Schweig!« rief dieser ihm sein eigenes Wort entgegen. »Du bist der Pascha von Damaskus, weiter nichts. Ich aber bin der Scheik der Aussätzigen. Wer ist mächtiger, du oder ich?«
Er streckte den Arm, an dem die Hand fehlte, nach ihm aus. Da wich der Pascha erschrocken zurück.
»Rühre mich nicht an!« schrie er voller Angst und wollte sich entfernen, konnte aber nicht, weil die Aussätzigen alle aufgesprungen waren und ihn umringten. Er schrie um Hilfe. Er rief seine Begleiter herbei, die Offiziere waren, sich aber sehr hüteten, ihm zu gehorchen.
»Nun, wo ist deine Macht?« fragte der Scheik. »Siehst du die Lumpen, Lappen und Fetzen liegen, dort hinter den brennenden Bäumen? Die waren für dich aufgestapelt! Unsere Waffen gegen dich und deine Macht! Solche Waffen gibt es nicht wieder, so weit die Erde reicht! Wenn ich will, so rühre ich dich an und deine Glieder werden zerfressen werden wie die meinigen. Schicke deine Soldaten her, uns von hier fortzuschaffen. Wir gehen durch ihre Schar hindurch und keiner von ihnen wagt es, uns auch nur anzutasten! Hättest du uns von hier verjagt und in den Tod geschickt, so waren diese von unserem Speichel und Eiter durchtränkten Fetzen bestimmt, in deinem Hause und in den Wohnungen deiner Anhänger verteilt zu werden. Was euer Schicksal gewesen wäre, das weißt du wohl! Kennst du nun meine Macht? Ich darf dir wohl widerstehen, doch du nicht mir!«
Er trat noch näher an den Pascha heran, so daß dieser vor Entsetzen ganz in sich zusammenbrach, und raunte ihm halblaut, aber im drohendsten Tone
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