Abendfrieden
während er die Galeristin unverhohlen betrachtete. »Frau Singer«, sagte Danzik, »es geht um den Mordfall Elisabeth Holthusen. Wo waren Sie am 18. März?«
»Wieso?« Jetzt stellte Madeleine Singer doch ihr Glas ab. »Wollen Sie etwa andeuten, dass ich damit etwas zu tun haben könnte?«
»Der Hundeleinen-Fall ist zwar abgeschlossen, aber immerhin hatten Sie Frau Holthusen schon einmal blutig geschlagen. Und es ist kein Geheimnis, dass Sie Ihre Konkurrentin aus Eifersucht und Neid mit Hass verfolgt haben. Ihre eigenen Bilder –«
»Meine eigenen Bilder sind Kunst und werden von anerkannten Kennern geschätzt, während die Pinseleien der Holthusen nur reine Kommerzware sind.«
»Die Pinseleien verkaufen sich aber hervorragend.«
»Eben. Warum sollte ich also die Kuh, die uns ernährt, schlachten?« Die Augen der Galeristin funkelten auf. »Und überhaupt – nur, weil ich der mal ein paar verdiente Striemen verpasst habe, soll ich gleich eine Mörderin sein?«
Danzik seufzte und schluckte ein paar Mal trocken. Jetzt könnte er ein Glas Wasser gebrauchen.
Tügel schlug die Finger gegeneinander. »Wo waren Sie am 18. März? Den lückenlosen Ablauf bitte.«
Madeleine Singer sah den jungen Kommissar spöttisch an. »Sie glauben doch wohl nicht, dass ich über mein Leben Buch führe?«
»Rekonstruieren Sie den Tag«, sagte Danzik.
»Da müsste ich mal meinen Kalender –«
»Tun Sie das!«, sagte Danzik.
Madeleine Singer setzte sich hinter den Schreibtisch und entfaltete raschelnde Geschäftigkeit. Endlich hatte sie den gesuchten Kalender in der Hand. »Mein Mann und ich hatten einen wichtigen Kunden zu Besuch, Doktor Thomasius aus Berlin. Vormittags war er hier in der Galerie, dann haben wir ihn zum Essen ins ›Rexrodt‹ am Hofweg geführt, anschließend haben wir mit ihm noch das ›Antikcenter‹ besichtigt.«
»Schreiben Sie uns die Adresse von diesem Doktor Thomasius auf. – Wann und wo haben Sie sich von ihm getrennt?«
»So gegen 17 Uhr. Wir sind vom Antikcenter zum Hauptbahnhof gegangen, und dort hat er ein Taxi zum Flughafen genommen.«
Die Kommissare sahen sich an und schüttelten in leiser Verzweiflung den Kopf. »17 Uhr«, murmelte Danzik. »Wo waren Sie danach?«
»Wieder in der Galerie. Bis 20 Uhr. Wir hatten ja einiges nachzuholen.«
»Also zusammen mit Ihrem Mann?«
»Ja.« Madeleine Singer lehnte sich zurück und spielte mit einem goldenen Kugelschreiber. Ihre zurückgewonnene Sicherheit wirkte fast provozierend. »Wenn Sie Ihren Mann dann bitte holen würden …«
»Wie Sie wünschen.« Die Galeristin hob ihre Brauen und stand auf. Kurz darauf kam sie zurück, hinter ihr, die volle Türhöhe füllend, ihr Gatte Erik Singer.
Der blickte erstaunt, dann berichtete er mit schiefem Lächeln seine Version zum 18. März. Sie stimmte mit der seiner Frau in allen Punkten überein.
* * *
»Tschüs, bis morgen.« Danzik sah Tügel nach, wie er pfeifend und mit federnden Schritten davonging. Diese Sorglosigkeit! Dabei steckten sie im Fall Holthusen ganz grauslich fest. Fühlte sich der Kollege unbewusst weniger verantwortlich als er? Einfach, weil er jünger war und ihn, Danzik, als Chef noch über sich hatte? Oder war es nur seine persönliche Art, dieses unbekümmerte »Es wird sich schon richten«? Aber er sollte Torsten nicht Unrecht tun, der junge Kollege arbeitete präzise und fleißig, im Nachhinein musste man das ohne Wenn und Aber zugeben.
Andererseits: Wann würde sich denn endlich was richten?, dachte Danzik zum wiederholten Male. So, wie die Dinge zurzeit standen, sah im Fall Holthusen alles hoffnungslos aus. Er brauchte jetzt einen Absacker. Nein, nicht zu Hause, sondern in einer richtigen Kneipe. Ja, es war untypisch für ihn, im selben Moment stellte er es innerlich lächelnd fest. Aber er brauchte es jetzt. Allein sein unter Menschen, in einem Lokal, in dem man nichts von ihm wollte. Still entspannen nach dem ganzen Geplapper und Gesurre in der Galerie, das ihn doch etwas ermüdet hatte.
Danzik steuerte die nächste Kneipe an und setzte sich ins ›Zwick‹. Eigentlich ein In-Lokal und deshalb nicht gerade sein Ding. Aber das war jetzt egal. Außerdem waren Udo Lindenberg, Werner Böhm und Consorten heute nicht zu sehen. Er wählte einen dämmrigen Eckplatz und beugte sich über ein großes Pils. Er, der Weintrinker, trank Bier. Aber er fühlte sich wie ausgetrocknet, ausgepresst von all den Verdächtigen, vielmehr: Nicht-Verdächtigen, die an seiner nervlichen Substanz
Weitere Kostenlose Bücher