Abendland
Roosevelt. Der Refrain lautete:
Dear Missis Roosevelt, don’t hang your head and cry;
His mortal clay is laid away, but his good work fills the sky;
This world was lucky to see him born …
2
Diese beiden Geschichten bildeten das erste double-tale .
Ich schrieb auf deutsch und übertrug den Text, so gut ich konnte, ins Englische; und gemeinsam – Maybelle und ich – korrigierten wir ihn. Wir arbeiteten in meinem Zimmer. Ich lag auf dem Bett, einen Durchschlag vor mir; Maybelle saß am Schreibtisch. Sie fügte mit der Hand die Verbesserungen ins Manuskript ein. Dann legte sie sich aufs Bett, und ich setzte mich an den Schreibtisch; sie diktierte, und ich tippte ins reine. Dabei schafften wir das Kunststück, einander in dem engen Raum nicht zu berühren, während wir Wort für Wort einzeln aufriefen und abwogen und umstülpten und verwarfen oder bestätigten und einander den Webster über den Schreibtisch zuschoben, den ich mir aus dem Vorschuß der Association for Cultural Equity bei Barnes & Noble gekauft hatte. Ich hatte, als wir das erste Mal mein Zimmer sozusagen offiziell betraten, vorgeschlagen, daß wir zuerst miteinander ins Bett gehen, weil wir uns hinterher sicher gelassener auf die Arbeit konzentrieren würden und nicht dauernd und parallel zu jedem Gedanken an Verb, Substantiv und Adjektiv denken müßten, wie sich die Haut unter den Kleidern des anderen anfühle – auf mich jedenfalls treffe das zu, sagte ich. Aber Maybelle erlaubte nicht, daß ich meine Hand in ihren Ausschnitt schob, nicht, daß ich sie auf den Mund küßte, nicht, daß ich mich an sie anlehnte oder mit meinem Fuß über ihren Oberschenkel strich. Sie hatte an Mr. Alberts Tür geklopft und gefragt, ob es ihn störe, wenn sie mich in meinem Zimmer besuche. Sie hatte ihm haarklein erklärt, was wir in seinem Haus zu tun beabsichtigten, und er hatte ihr aufmerksam zugehört und schließlich – nach einer schwergewichtigen Pause, während der er keinen von uns beiden anschaute, sondern gerade zwischen uns hindurch auf seinen Regenmantel in der Garderobe starrte – entschieden: »Maybelle, Mr. Lukasser, ich bin einverstanden.«
Maybelle korrigierte meine Rohübersetzung, aber sie griff auch in den Text ein; und sie stellte nicht nur Fragen, sondern sie bot alternative Formulierungen an, befahl diese eigentlich, und zwar mit einer Rigorosität, die mich einschüchterte, so daß ich schließlich von selbst die Änderungen vorschlug, bevor sie es tat. Die meisten meiner Sätze waren ihr zu lang, zu verschlungen, enthielten »zu viele clevere Wörter«. Sie war unempfindlich gegenüber Angeberei, Dünkel, Schmeichelei und auch gegenüber allen meinen Versuchen, mein Talent, meine Ambitionen und meine Person vor ihr kleinzureden, um auf diese Weise ihren Beifall zu erpressen.
Als wir die Geschichte von Grigol Beritaschwili noch nicht einmal zur Hälfte durchhatten, brach ich erschöpft und in dem Gefühl, zwar ernstgenommen, aber nicht geliebt zu werden, die Sitzung ab; sagte, sie solle mir zwei Tage Zeit geben, ich müsse noch einmal darübergehen.
Ob sie in der Nacht zu mir kommen solle, fragte sie. Aus Trotz sagte ich: »Nein.«
Sie nahm die Brille ab und sah mir auf die Stirn – mit geisterhafter Miene, als bündle sie hinter ihren Augäpfeln einen Voodoozauber zu einem Strahl, den sie gleich auf mich abschießen würde.
Schließlich sagte sie: »Wenn wir mit den ersten beiden Geschichten fertig sind, werde ich Howie fragen, ob er interessiert ist, sie zu hören.«
In der Nacht tat mir mein Trotz leid.
Für gewöhnlich korrigierten wir am Nachmittag etwa zwei Stunden, dann verabschiedete sich Maybelle, verbrachte den Abend mit ihrer Familie und kam kurz vor Mitternacht wieder. Wenn sie in den frühen Morgenstunden aus Mr. Alberts Haus schlüpfte, blieb ich noch eine Weile liegen, schlief aber nicht mehr ein, sondern las in den Büchern, die ich zum Teil im Hunter College, zum Teil in der Public Library ausgeliehen hatte – so zum Beispiel in einem Roman über das Leben von Niccoló Paganini (das Buch war nicht besonders gut geschrieben, aber es enthielt einige Geschichten, die meine Phantasie anregten); weiters hatte ich ein biographisches Lexikon ausgeborgt, in dem ausführliche Artikel zu zwei Dutzend Komponisten versammelt waren, unter anderem wieder Paganini und natürlich auch Johann Sebastian Bach, über den ich ebenfalls schreiben wollte. Über Joe Hill, den linken Dichter und Sänger, der aus Schweden stammte
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