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Abendland

Abendland

Titel: Abendland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Köhlmeier
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gesundheitlich bedenklichen Zustand, man habe das dem Management des Gegners und auch den Veranstaltern mitgeteilt, und man habe ihn wissen lassen, es liefen Bemühungen, den Kampf zu verschieben, allerdings habe sich Mr. Clancy nicht an seine Versprechen gehalten und so weiter – kurz: Rooney sei unter Ausnützung eines krankheitsbedingten Nachteils seines Gegners an den Titel gekommen; es benötige keinen Fachmann, um zu erkennen, daß Rooney ein außerordentlich schwacher Boxer sei, ein Schönling, der besser an den Broadway gehöre als in einen Gym. Die Ausrede war ziemlich blöd und wurde auch von niemandem ernst genommen; Barrence aber war gekränkt, und es kostete Maybelle alle Mühe, ihm das Schluchzen auszutreiben.
    Im September desselben Jahres fand die Revanche statt. Diesmal war Rooney von der ersten Runde an unterlegen. Pico war schneller als in allen seinen bisherigen Fights, seine Schläge waren noch härter. Der Kampf dauerte über acht Runden. Er hätte nach vier Runden beendet sein können; es war offensichtlich: Pico schonte seinen Gegner; besser gesagt: Er schob das Ende des Kampfes hinaus, und es war auch klar, warum er das tat: Er wollte Rooney verletzen. In der achten Runde warf Clancy das Handtuch, nichts mehr war in Rooneys Gesicht, was an ihn erinnerte, und nur wenig war da, was überhaupt an ein Gesicht erinnerte. Die Reporter kommentierten den Kampf einhellig: Rooney, schnell gestartet, war schon wieder draußen.
    »Er ist fertig«, sagte Gil.
    »Was heißt das?« fragte Maybelle.
    »Daß der Traum vorbei ist. Er kann vielleicht noch in Atlantic City auftreten, aber nicht mehr in New York. Ich hätte nicht auf dich hören sollen, Maybelle. Er paßt nicht in unseren Boxclub. Er ist kein Boxer.«
    »Aber Boxen ist alles, was er will.«
    »Ihm fehlt der Haß. Ein Boxer ohne Haß ist wie ein Prediger ohne Religion. Ein Boxer muß hinter die Nase seines Gegners zielen, wenn er die Nase treffen will. Er muß die zwei Zentimeter Sicherheitsabstand, die von der Natur eingebaut worden sind, durchstoßen. Aber das kann der Boxer nur mit Haß.«
    »Und wie trainiert man den Haß?« fragte Maybelle.
    Darauf wußte Gil keine Antwort, auf die er sich verlassen wollte. »Wahrscheinlich ist der Haß bei einem Boxer das, was das Genie bei Picasso ist«, sagte er.
    Als Barrence die Verbände abgenommen hatte, fuhr Maybelle mit ihm zum Cemetery of the Evergreens. Dort werde ihn niemand anschauen, sagte sie. »Leute, die den Friedhof besuchen, haben andere Sorgen.« Sein Gesicht sah in etwa wieder wie ein menschliches Gesicht aus. Aber noch nicht wie sein Gesicht. Die Augen waren übereinandergequollene Ober- und Unterlider. Wenn er sie mit Mühe so weit öffnete, daß die Äpfel zum Vorschein kamen, sah man naß glänzende, blutunterlaufene, dünne Monde. Über die linke Braue zog sich eine schwarze Narbe, das war die Stelle, auf die Pico acht Runden lang beharrlich eingedroschen hatte. Mit einem Dutzend Stichen war genäht worden. Die Blutergüsse unter den Augen hatten sich inzwischen ebenfalls schwarz verfärbt und waren über die Wangen abgesackt. Der Nasenrücken war um gut ein Doppeltes breiter als die Nasenflügel. Die Lippen füllten wie loses, in zwei Säcke gestopftes Material das untere Viertel des Gesichts, und wenn er sprach, hörte es sich an, als hätte er matschiges Brot in den Backen.
    Sie gingen zwischen den Grabsteinen hindurch zu der kleinen Anhöhe, wo die Zypressen wuchsen.
    »Ich habe es dir ja gesagt«, begann Maybelle.
    »Was hast du mir gesagt?« fragte Barrence.
    »Daß dein Gesicht bald nicht mehr so hübsch aussehen wird.«
    »Aber es wird wieder so werden. Das meinst du doch, oder?«
    »Vielleicht auch nicht.«
    »Ich habe Boxer gesehen, die haben schlimmer ausgesehen als ich, und die sind auch wieder hingekriegt worden.«
    »Andererseits wäre es auch wieder schade, wenn es wieder genauso wird, wie es war, finde ich«, sagte Maybelle und brachte das Kunststück fertig, sowohl wie nebenbei als auch bestimmt und konzentriert zu klingen. »Du weißt doch, was über dein schönes Gesicht gesagt worden ist …«
    »Nein, das weiß ich nicht. Was sagt man über mein Gesicht, Maybelle?«
    »Man sagt gar nichts. Ich sage. Ich sage: Für einen Mann war dein Gesicht irgendwie zu schön.«
    »Aber dich stört das doch nicht, Maybelle. Du hast nie etwas gesagt.«
    »Mich stört, was andere daraus machen.«
    »Wer macht etwas aus meinem Gesicht?«
    »Du weißt doch, was man sagt, wenn ein

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