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Abendland

Abendland

Titel: Abendland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Köhlmeier
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Grund dafür war: Die Wirkung des Morphiumpflasters ließ nach. Frau Mungenast gestand mir am nächsten Morgen, als wir beide allein frühstückten, daß sie gleich nach dem Mittagsschlaf das Pflaster hätte erneuern müssen, daß sie es aber wegen des Besuchs von Frau Brugger vergessen habe und später nicht mehr aus der Stadt herauffahren wollte, jedenfalls nicht, ohne daß man sie gerufen hätte.
    Carls Stimme: »Ich war während dieses Treffens zu verwirrt gewesen, um vernünftig zu denken. Auch der Agent eines Killers, mag er noch so primitiv sein – er kam mir übrigens gar nicht primitiv vor –, vertritt seine Sache mit einer gewissen Logik. Auf dem Fußweg zurück in die Stadt wurde mir die makabre Schildbürgerei dieser Aktion deutlich. Die beiden, Zuhälter und Agent, wollten mein Geld und sonst nichts. Sie haben nicht den geringsten Ehrgeiz, korrekte Geschäftspartner zu sein. Sie kennen keinen Killer. Sie kennen ebensowenig einen Killer, wie ich einen Killer kenne. Sie sehen einen obergescheiten dummen Idioten vor sich, der aussieht wie ein reicher obergescheiter dummer Idiot. Sie sagen sich: Gehen wir auf ihn ein! Nehmen wir ihn aus! Der Zuhälter ist dumm wie Bohnenstroh. Aber der Agent hat Grips. Er ist der Psychologe in dem Duo. Er sagt: Wir spielen die Profis, die es gerade nicht so machen, wie man es im Kino macht. Er wird sich denken, sieh an, die machen es nicht wie im Kino! Und das wird ihn überzeugen, daß wir Profis sind. Genau so denken reiche obergescheite dumme Idioten, sagt der Agent. Womit er völlig recht hat. Was können die beiden verlieren? Nichts. Was können sie gewinnen? Im billigsten Fall bleibt ihnen die Vermittlungsgebühr für die Prostituierte und die Vermittlungsgebühr für den Zuhälter. Das ist zusammen nicht allzuviel, aber es ist nicht schlecht, auch geteilt durch zwei ist es nicht schlecht. Im besten Fall kriegen sie alles, und das wäre viel, sehr, sehr viel. Im zweitbesten Fall, denkt sich der Agent, holen wir die Vermittlungsgebühr plus ein Viertel des Honorars heraus. Sie sind Halunken, Gauner, Falotten, aber keine Mörder. Aber – das schoß mir glühendheiß ein, während ich am Tejo entlangging –, aber sie können mich erpressen. Ich habe ihnen zwar nicht meinen, aber Daniels Namen gegeben und seine Adresse dazu. Was tun sie, wenn ich aussteigen will? Werden sie sich mit den Vermittlungsgebühren zufriedengeben? Wahrscheinlich nicht. Sie werden mich suchen. Wie? Über Daniel. Die beiden sind vielleicht keine Mörder, aber sie verfügen über Möglichkeiten, einen Mann zu überzeugen, daß er den Namen und die Adresse eines anderen Mannes preisgibt – was ihm übrigens nicht schwerfallen wird, hat er doch eine alte Rechnung mit ihm offen. Agent und Zuhälter werden mich aufsuchen und zu mir sagen: Zahl weiter, oder wir besuchen ihn noch einmal und verraten ihm, was du wolltest, daß wir mit ihm anstellen. Was würde Daniel tun, wenn sie ihm erklären, daß ich ihn umbringen lassen wollte? Würde er zur Polizei gehen? Nicht anzunehmen. Was sollte er denen erzählen? Für eine solche Behauptung braucht man Zeugen. Es war wenig wahrscheinlich, daß Zuhälter und Agent vor der Polizei als Daniels Zeugen auftreten würden. Würde Daniel mit Margarida sprechen? Das allerdings war sehr wahrscheinlich. Und sie? Sie würde ihm glauben. Nicht, weil sie mir so etwas zutraute, würde sie ihm glauben, sondern weil sie Daniel nicht zutraute, daß er so etwas erfinden könnte. Was würde sie tun? Es war nicht sicher, daß damit unsere Ehe beendet sein würde. Es war nicht einmal wahrscheinlich. Ebensogut könnte es sein, daß ich ihr damit imponierte. Margarida liebte das Extravagante, sie liebte es mehr, als sie die Sünde haßte. Wahrscheinlich würde sie sich denken, ich hätte den Zirkus inszeniert, nur um ihr zu imponieren. Daß ich in Wahrheit natürlich nicht eine Sekunde daran gedacht hatte, Daniel tatsächlich umbringen zu lassen … – Schon steckte ich wieder bis zum Hals im Konjunktiv. Aber vielleicht ist es ja genau so geschehen. Wer weiß, vielleicht war Margarida einmal in ihrem Leben tatsächlich verschwiegen.
    Dieser Abend war besonders schön. Margarida und du, ihr habt gekocht. Erinnerst du dich? Ihr habt Caldeira de Carne gekocht. Deine Lieblingsspeise. Dazu Reis. Margarida hat Kuchen eingekauft. In dieser vornehmen neuen Konditorei bei der Praça da Alegria, die mit dem poetischen Namen, den ich leider vergessen habe. Pão-de-açúcar. Kann das sein?

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