Abendland
dem Krieg bin ich in ein Land zurückgekehrt, in dem Abermillionen Menschen ermordet worden sind, weil sie … es gibt kein Weil. Was sollte mich mein Gewissen quälen bei dem Gedanken, Daniel Guerreiro Jacinto aus dem Weg zu räumen, wenn er doch mein und – davon war ich überzeugt – auch Margaridas Glück gefährdete? Außerdem, ja, außerdem hatte ich bereits Sühne geleistet – für ein Delikt, das gar nicht geschehen war. Ich hatte also genaugenommen einen Mord frei.«
6
»Ich wollte, daß es geschah, aber ich wollte es nicht tun. Und eigentlich war ich mir auch nicht sicher, ob ich wirklich wollte, daß es geschah. Diese undefinierbare Zwischenlage beförderte meine planende Phantasie. Allein die Vorstellung, mich in die Lage zu versetzen, Daniel Guerreiro Jacinto tot zu sehen, und zwar als Folge eines Entschlusses, den ich allein gefaßt hatte, verschaffte mir Zufriedenheit. Diese bestand darin, daß ich glaubte, mir versichern zu können: Du schaust nicht einfach nur zu, wie dein Leben ruiniert wird, du unternimmst etwas dagegen. Der erste Schritt war getan, als ich beschloß, ihn zu töten. Da war noch kein Gedanke an das Wie. Ich werde es tun. Ich eröffne mir diese Option. Ich werde es tun, wenn. Dieser Gedanke bestimmte die fünf Tage in São Paulo, inklusive die Stunden des Rückflugs. Als das ›wenn‹ eingetreten war, genügte dieser erste Schritt nicht mehr. Hätte mir Margarida mitgeteilt, sie habe mit Daniel gebrochen, sie werde ihn nie mehr wiedersehen – und so weiter –, dann wäre damit meine Option zwar nicht geschlossen worden – weiterhin hätte ich gelten lassen: wenn wieder, dann –, aber ein zweiter Schritt wäre nicht nötig gewesen. Nun war er nötig. Nach dem Ich-werde-es-Tun des ersten Schrittes konnte der zweite nur lauten: Ich werde es auf eine bestimmte Art und Weise tun. Wie? Ich wollte kein Blut sehen, und ich wollte nie wieder ein Geräusch hören, das so oder so ähnlich war wie das Aufschlagen eines menschlichen Körpers auf einer Eisdecke und das Durchbrechen derselben. Ich wollte in einem materiellen Sinn nichts damit zu tun haben. Ich würde einen Killer beauftragen. Der Konditionalis ist beachtenswert. Er besagt: Wenn ich einer wäre , der einen Mann tot sehen will, dann würde ich einen Killer beauftragen. Der Konjunktiv ist deshalb interessant, weil er sich abermals als ein vitales, antreibendes Element erweist. So lange ich ›wäre‹, ›hätte‹, ›würde‹ sage, so lange ist nichts entschieden, so lange bin ich kein schlechter Mensch, kein Verbrecher, so lange bin ich unschuldig in einer aufgeklärten Definition, die ein höheres Wesen, das einem in die Seele schaut, als Axiom nicht akzeptiert. Im Konjunktiv darf ich bis ans Ende gehen, und sei das Ende noch so entsetzlich. Ich bleibe rein, denn der Weg, den ich gehe, ist imaginär. Die Gedanken sind frei. Ich darf mir Zeit lassen, um mich an die Warnschilder der Tabus zu gewöhnen, die diesen Weg säumen. Ich stumpfe mich ab. Das Trainingsprogramm des Konjunktivs besteht in Abstumpfung: Wenn ich einer wäre , der einen Mann tot sehen will, dann würde ich …
Diesmal bestimmte ich , ob und wann das Wenn eintreten sollte – ich , nicht Margarida, nicht Daniel Guerreiro Jacinto. Allein ich. Das machte die Sache einfacher, aber natürlich auch viel gewichtiger. Ich war an der Peripetie meines Dramas angelangt. Bisher hatte ich nur reagiert, von nun an läge es in meiner Hand zu agieren. Ja, man muß sich mit solchen Gedanken Zeit lassen, man muß sie absinken lassen, man muß ihnen ihre eigene Bewegung zugestehen, ihre eigene Geschwindigkeit, ihr eigenes Gewicht. Man muß sie behandeln, als wäre man selbst nicht ihr Hervorbringer. Erst wenn sie sich verankert haben, darf man sie analysieren, darf man sie nach ihren Implikationen abtasten. Das dauert ein paar Tage, mehr nicht. Auch Hamlet hat nicht länger mit sich gerungen. Er hat viele Worte darum herum aufgehäuft, bei Gott, ja, aber schließlich ging’s doch ziemlich flott. Die Fragen spazieren von alleine daher. Erstens: Wie stellt sich jemand wie ich an, wenn er einen Menschen finden will, der für Geld bereit ist, jemanden zu töten? Unsereiner bezieht sein Wissen über professionelle Killer aus Kriminalromanen oder Gangsterfilmen. Andere Quellen kannte ich nicht. Zweitens: Ein Killer, so er sich in der Wirklichkeit ähnlich verhält wie in den Romanen und den Filmen – und sehr wahrscheinlich trifft das zu, denn Killer-Sein stellt eine so
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