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Abendruh: Thriller (German Edition)

Abendruh: Thriller (German Edition)

Titel: Abendruh: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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Kleid, auch nicht an den Besuch in Disneyworld. Wie alt war sie auf diesem Foto? Drei, vier? Sie konnte das Alter von Kindern nicht gut schätzen. Ohne dieses Foto hätte sie gar nicht gewusst, dass sie je im »Magic Kingdom« gewesen war.
    Noch eine Erinnerung, die ich verloren habe, dachte sie. Sie hätte am liebsten die Seite aus dem Album gerissen, dieses Foto zerfetzt, das eine einzige Lüge war. Wenn sie sich nicht daran erinnern konnte, dann war das so, als wäre es nie passiert. Dieses Album war ein Buch voller Lügen, die Kindheit eines anderen Mädchens, die Erinnerungen eines anderen Mädchens.
    »Darf ich reinkommen, Claire?«, fragte Will und steckte den Kopf durch ihre offene Tür. Er hatte offenbar nicht den Mut einzutreten und verharrte zögernd auf dem Flur, den Kopf eingezogen, als ob er fürchtete, sie werde etwas nach ihm werfen.
    »Ist mir egal«, sagte sie. Es war als Einladung gedacht, doch als er zurückwich, rief sie: »He, wo gehst du denn hin? Willst du nicht reinkommen und dir mein Zimmer anschauen?«
    Jetzt erst trat er ein, blieb aber an der Tür stehen und ließ den Blick nervös über Bücherregale, Schreibtische und Kommoden wandern. Er vermied es, die Betten anzuschauen, als hätte er Angst, dass sie sich auf ihn stürzen und ihn beißen könnten.
    »Die Jungs auf meinem Zimmer packen schon für die Fahrt nach Quebec«, sagte er. »Echt blöd, dass wir da morgen nicht mitfahren dürfen.«
    »Meinst du, ich wäre scharf drauf, stundenlang in einem Bus zu hocken? Da bleibe ich doch lieber hier«, sagte sie, obwohl das nicht ganz der Wahrheit entsprach – es war blöd, dass sie nicht mitdurften. Sie blätterte eine Seite in dem Album um und sah ein weiteres Foto von sich. Auf diesem trug sie einen Cowboyhut und saß auf einem depressiv dreinschauenden Pony.
    »Bist du das?« Er lachte. »Du siehst ja echt putzig aus.«
    Verärgert knallte sie das Album zu. »Ich recherchiere nur, wie Julian es uns aufgetragen hat.«
    »Ich recherchiere auch.« Er griff in seine Gesäßtasche und zog ein Blatt heraus, das er entfaltete. »Ich arbeite an einer Zeitschiene mit den Ereignissen unseres Lebens. Alles, was dir und mir und Teddy passiert ist, und die möglichen Zusammenhänge. Ich versuche herauszufinden, ob es irgendwelche Schnittmengen zwischen uns gibt. Ich muss noch Teddys genaue Daten besorgen, aber deine hab ich hier. Willst du sie überprüfen?«
    Sie nahm das Blatt und konzentrierte sich auf die Punkte, die ihre persönlichen Tragödien markierten. Das erste Datum war der Tag, an dem in London auf sie und ihre Eltern geschossen worden war, ein Ereignis, an das sie derart verschwommene Erinnerungen hatte, dass es ebenso gut ein anderes Mädchen sein könnte, dem das zugestoßen war, und nicht sie. Aber das zweite Ereignis war noch so frisch, dass die Schuldgefühle ihr gleich wieder die Kehle zuschnürten. Sie hatte es in den vergangenen Wochen hartnäckig vermieden, daran zu denken, aber der Anblick des Datums auf Wills Zeitschiene brachte die schrecklichen Erinnerungen mit einem Schlag zurück. Wie unbekümmert sie sich an diesem Abend aus dem Haus der Buckleys geschlichen hatte. Wie müde und besorgt Bob und Barbara ausgesehen hatten, als sie sie mit ihrem Wagen abgeholt hatten. Sie sind wegen mir gestorben. Weil ich eine gedankenlose Idiotin war.
    Sie drückte Will die Zeitschiene wieder in die Hand. »Ja, die Daten stimmen.«
    Er deutete auf die Fotoalben. »Hast du irgendwas gefunden?«
    »Bloß Bilder.«
    »Darf ich sehen?«
    Sie hatte keine Lust, noch mehr peinliche Fotos von sich herzuzeigen, also legte sie das neuere Album zur Seite und schlug stattdessen das ihrer Eltern auf. Auf der ersten Seite erblickte sie ihren Vater Erskine, groß und gut aussehend, in Anzug und Krawatte. »Das ist mein Dad«, sagte sie.
    »Das ist das Washington Monument da hinter ihm! Da war ich schon. Mein Dad hat mich ins Luft- und Raumfahrtmuseum mitgenommen, als ich acht war. Das ist echt so was von cool.«
    »Na toll, ich flipp gleich aus.«
    Er sah sie an. »Warum tust du das, Claire?«
    »Was?«
    »Warum machst du mich immer so runter?«
    Sie wollte es schon reflexartig abstreiten, doch dann sah sie sein Gesicht und begriff, dass er recht hatte mit seinem Vorwurf. Sie machte ihn tatsächlich die ganze Zeit runter. Sie seufzte. »Das meine ich gar nicht so.«
    »Dann machst du es also nicht, weil du glaubst, dass ich es verdient habe? Weil ich irgendwie abartig bin oder so?«
    »Nein. Ich mache

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