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Abendruh: Thriller (German Edition)

Abendruh: Thriller (German Edition)

Titel: Abendruh: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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haben, uns zur Wehr zu setzen.«
    Es klopfte an der Tür, und sie drehten sich alle um, als ein kleiner, drahtiger Junge mit asiatischen Zügen ins Zimmer platzte.
    Dr. Welliver begrüßte ihn mit einem mütterlichen Lächeln. »Hallo, Bruno. Brauchst du irgendetwas?«
    »Wir haben etwas im Wald gefunden. An einem Baum«, sprudelte der Junge los.
    »Im Wald gibt es viele Bäume. Was ist an diesem so besonders?«
    »Wir wissen nicht genau, was es bedeutet, und die Mädchen, die schreien alle ganz hysterisch …« Bruno atmete tief durch, um sich zu beruhigen, und Jane fiel plötzlich auf, dass der Junge am ganzen Leib zitterte. »Mr. Roman sagt, Sie müssen sofort kommen!«
    Dr. Welliver erhob sich mit besorgter Miene. »Bring uns hin.«

14
    Das Getrappel ihrer Schritte hallte durchs Treppenhaus, als sie hinter dem Jungen aus dem dritten Stock nach unten eilten. Draußen fuhr der Wind durch Janes Haare, und sie bereute es, ihre Jacke nicht mitgenommen zu haben. Die fernen dunklen Wolken, die sie vom Turmzimmer aus gesehen hatte, waren nun fast über ihnen, und sie hörte das Knarren und Ächzen der Bäume, roch schon den Regen in der Luft. Sie marschierten los in den Wald, angeführt von dem Jungen, der keinem erkennbaren Weg zu folgen schien. Bei so vielen Füßen, die im toten Laub raschelten und Zweige knickten, waren die Vögel ringsum verstummt. Die einzigen Geräusche kamen von ihren eigenen Schritten und dem Wind im Geäst.
    »Haben wir uns verlaufen?«, fragte Jane.
    »Nein, das ist nur eine Abkürzung«, antwortete Dr. Welliver. Trotz ihres zeltartigen Kleids bewegte sie sich unverdrossen durchs Unterholz und stapfte schwerfällig hinter dem Jungen her, der wie ein Kobold vor ihnen hersprang.
    Die Bäume wurden dichter, und bald verdeckten ihre Kronen den Blick auf den Himmel. Obwohl es noch nicht Mittag war, herrschte hier im Wald dämmriges Zwielicht.
    »Kennt der Junge auch wirklich den Weg?«
    »Bruno weiß genau, wohin er geht.« Dr. Welliver deutete auf einen abgebrochenen Zweig direkt über ihren Köpfen.
    »Er hat eine Spur gelegt?«
    Die Psychologin drehte sich zu ihr um. »Unterschätzen Sie unsere Schüler nicht.«
    Sie hatten das Schloss schon aus dem Blick verloren. Inzwischen konnte Jane, wohin sie sich auch wandte, nur noch Bäume sehen. Wie weit waren sie gegangen? Ein halbe Meile – oder mehr? Und das sollte eine Abkürzung sein? Ihre Schnürsenkel lösten sich, und sie bückte sich, um sie zuzubinden. Als sie sich wieder aufrichtete, waren die anderen schon ein Dutzend Schritte weiter und fast außer Sichtweite. Wenn sie hier allein zurückbliebe, könnte sie tagelang umherirren, ohne aus dem Wald herauszufinden. Sie beeilte sich, zu den anderen aufzuschließen, und schob sich durch ein dichtes Gestrüpp auf eine kleine Lichtung, wo die anderen bereits warteten.
    Unter einer prächtigen Weide standen Professor Pasquantonio und Roman, der Förster. Etwas abseits drängte sich eine kleine Gruppe von Schülern dicht zusammen, wie um sich vor dem Wind zu schützen.
    »… haben nichts angerührt. Wir haben alles so gelassen, wie wir’s gefunden haben«, sagte Roman zu Dr. Welliver. »Ich hab keinen Schimmer, was das zu bedeuten hat.«
    »Ein ganz schlechter Scherz.« Pasquantonio schnaubte. »Mehr ist es nicht. Kinder machen die albernsten Sachen.«
    Dr. Welliver trat unter die Weide und starrte hinauf ins Geäst. »Wissen wir, wer es getan hat?«
    »Niemand will zugeben, dass er’s gewesen ist«, brummte Roman.
    »Wir wissen alle , dass sie es war«, meldete sich ein dunkelhaariges Mädchen. »Wer soll es sonst gewesen sein?« Sie deutete auf Claire. »Letzte Nacht hat sie sich wieder rausgeschlichen. Ich hab sie durchs Fenster gesehen. Das Nachtgespenst. «
    »Ich war es nicht«, verteidigte sich Claire. Sie stand abseits von den anderen am Waldrand, die Arme vor der Brust verschränkt, wie um die Anschuldigungen abzuwehren.
    »Du warst draußen. Erzähl doch keine Lügen.«
    »Briana«, mahnte Dr. Welliver, »wir beschuldigen niemanden, solange wir keine Beweise haben.«
    Jane bahnte sich einen Weg durch die Versammlung, um zu sehen, was sie alle hergeführt hatte. An einem der unteren Äste der Weide hingen drei Puppen aus Zweigen und Bindfaden, wie ein primitiver Weihnachtsschmuck. Als Jane näher trat, sah sie, dass eine der Puppen einen Rock aus Birkenrinde hatte. Eine weibliche Figur. Die Puppen drehten sich langsam im Wind wie Gehenkte, und alle waren mit etwas befleckt, das wie

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