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Abendstern - Roman

Abendstern - Roman

Titel: Abendstern - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Roberts
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wieder auf die Straße - und trat mit voller Wucht auf die Bremse, weil etwas vor ihrem Wagen entlanghuschte.
    Sie meinte, ein Kind gesehen zu haben - o Gott, o Gott -, es konnte auch ein Hund gewesen sein. Aber da war nichts. Nichts außer ihr selbst und ihrem wild schlagenden Herzen.
    »Bestimmt eine optische Täuschung«, murmelte sie, aber sie glaubte es eigentlich selbst nicht.
    Sie startete das Auto, das bei der Vollbremsung ausgegangen war, und fuhr an den Straßenrand. Dort nahm sie ihr Notizbuch, notierte die Zeit und schrieb sich genau auf, was sie meinte gesehen zu haben.
    Kleiner Junge, etwa zehn Jahre. Lange schwarze Haare, rote Augen. Er BLICKTE mich direkt an. Habe ich geblinzelt? Die Augen geschlossen? Dann wieder geöffnet und schwarzen Hund, nicht Jungen gesehen. Dann puff. Nichts mehr da.
    Autos fuhren an ihr vorbei, als sie noch ein paar Minuten dasaß und wartete, bis sich ihr Herzschlag wieder beruhigt hatte und das Zittern langsam nachließ.
    Kurz überlegte sie, ob sie umdrehen und zum nächsten McDonald’s fahren sollte, um ihre Nerven mit Fett und Kohlehydraten zu beruhigen.

    »Ach, was«, sagte sie laut. »Reiß dich zusammen, Quinn. Du hast in deinem Leben schon mehr Gespenster gesehen.«
    Sie fuhr wieder los. Die Straße war schmal und kurvig, und sie konnte sich vorstellen, dass sie im Frühling und im Sommer wunderschön zu fahren war. Aber jetzt, unter diesem grauen Himmel, bedrängten die kahlen Bäume die Straße beinahe, als hätten nur sie das Recht, hier zu leben.
    Das Gefühl verstärkte sich noch, weil gerade kein anderes Auto vorbeikam, und als Quinn das Radio einschaltete, kam ihr die Musik viel zu laut vor.
    Fast hätte sie die Abzweigung in den Kiesweg verpasst.
    Warum wohnte eigentlich jemand freiwillig hier?, fragte sie sich. Alles war braun, grau und trüb, und die einzigen Geräusche kamen von der Natur.
    Sie holperte über eine kleine Brücke und folgte dann der ansteigenden Straße.
    Dort lag das Haus, genau wie angekündigt.
    Es stand auf einer kleinen Anhöhe, und der Abhang vor dem Haus war in Terrassen unterteilt, die mit Sträuchern bewachsen waren. Im Frühling bot das Ganze sicher einen spektakulären Anblick.
    Rasen gab es keinen, es war sicher klug von Hawkins, stattdessen mit Mulch um die Sträucher und Bäume zu arbeiten, weil es wohl anstrengend wäre, hier zu mähen und Unkraut zu jäten. Die Terrasse, die sich vorne, an den Seiten und wahrscheinlich auch hinten am Haus erstreckte, gefiel ihr ebenso gut wie die erdigen Töne des Steins und die großen Fenster.

    Das Haus sah so aus, als gehörte es hierhin.
    Sie hielt neben einem betagten Chevy Pick-up, stieg aus und schaute sich um.
    Sie verstand sofort, warum jemand hier wohnen wollte. Es war zwar zweifellos ein wenig unheimlich, vor allem für jemanden, der eine Neigung zu solchen Dingen hatte, aber es besaß auch beträchtlichen Charme. Sie konnte sich ohne Weiteres vorstellen, an einem Sommerabend mit einem kalten Getränk auf der Terrasse zu sitzen und die Stille zu genießen.
    Bevor sie sich zum Haus begeben konnte, ging die Haustür auf.
    Das Gefühl des Déjà-vu war überwältigend. Er stand in der Tür zur Hütte, und Blutflecken breiteten sich wie rote Blumen auf seinem Shirt aus.
    Wir können nicht mehr bleiben.
    Klar und deutlich vernahm sie die Worte im Kopf.
    »Miss Black?«
    Erschrocken fuhr sie zusammen. Da war keine Hütte, und der Mann, der auf der Terrasse seines hübschen Hauses stand, hatte keine Blutflecken auf dem Hemd. In seinen Augen standen auch nicht Liebe und Trauer.
    Und doch musste sie sich einen Moment lang an ihren Wagen lehnen, um wieder zu Atem zu kommen. »Ja, hallo. Ich war … ich habe gerade das Haus bewundert. Es ist toll.«
    »Danke. Hatten Sie Probleme, es zu finden?«
    »Nein, nein. Ihre Wegbeschreibung war perfekt.« Es war natürlich lächerlich, diese Unterhaltung hier draußen in der eisigen Kälte zu führen. Dem fragenden Blick
nach zu urteilen, den er ihr zuwarf, schien er das genauso zu sehen.
    Sie trat auf die Stufen zur Veranda zu.
    Er sah absolut niedlich aus, dachte sie, als sie langsam wieder in die Realität zurückkehrte. Diese zerzausten Haare und die grauen Augen. Das schiefe Lächeln und der lange, schlanke Körper in Jeans und Flanellhemd. Man fühlte sich als Frau direkt verführt, ihm ein VERKAUFT-Schild um den Hals zu hängen.
    Sie trat auf ihn zu und streckte ihm die Hand entgegen. »Quinn Black. Danke, dass Sie sich Zeit für mich

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