Abendstern - Roman
wir uns im Wohnzimmer an den Kamin setzen?«
»Perfekt. Wie lange wohnen Sie schon hier? Hier in diesem Haus, meine ich«, fügte sie hinzu und folgte ihm aus der Küche.
»Zwei Jahre.«
»Sie haben wohl für Nachbarn nichts übrig?«
»Nachbarn sind gut und schön, und ich bin auch häufig in der Stadt, aber ab und zu brauche ich die Stille.«
»Ja, das geht mir auch so.« Sie setzte sich auf einen der Sessel und lehnte sich zurück. »Es überrascht mich nur, dass nicht noch andere Leute auf dieselbe Idee wie Sie gekommen sind und sich hier Häuser gebaut haben.«
»Ein paarmal war davon schon die Rede, aber es ist nie etwas daraus geworden.«
Er ist verschlossen, dachte Quinn. »Warum?«
»Es stellte sich als finanziell nicht besonders attraktiv heraus.«
»Aber Sie wohnen doch hier?«
»Meinem Großvater gehörte das Land, einige Hektar vom Hawkins Wald. Er hat es mir hinterlassen.«
»Und dann haben Sie sich hier ein Haus gebaut.«
»So ungefähr. Es hat mir hier gefallen.« Es lag nahe am Wald, wo alles angefangen hatte. »Ich bin mit ein paar Leuten aus der Baubranche befreundet, wir haben das Haus mehr oder weniger gemeinsam gebaut. Wie schmeckt der Kaffee?«
»Großartig. Kochen Sie auch?«
»Meine Spezialität ist Kaffee. Ich habe Ihre Bücher gelesen.«
»Wie fanden Sie sie?«
»Gut. Wenn sie mir nicht gefallen hätten, wären Sie wahrscheinlich nicht hier.«
»Das hätte mir meine Arbeit sehr erschwert. Sie sind ein Hawkins, ein Nachfahre des Gründers der Ansiedlung, aus der letztendlich die Stadt wurde. Und einer der Protagonisten in den unerklärlichen Vorfällen,
die sich in der Stadt ereignet haben. Ich habe gründlich recherchiert«, sagte sie und griff in den Beutel, der ihr als Tasche und als Aktenkoffer diente. Sie holte einen Minirecorder heraus und legte ihn auf den Tisch.
Ihr Lächeln war voller Energie, als sie ihr Notizbuch auf den Schoß legte und eine leere Seite aufschlug. »Also, Cal, erzählen Sie mir, was in der Woche vom siebten Juli neunzehnhundertsiebenundachtzig, vierundneunzig und zweitausendeins passiert ist.«
Das Aufnahmegerät machte ihn nervös. »Sie kommen gleich auf den Punkt, was?«
»Ja, ich möchte gerne Bescheid wissen. Der siebte Juli ist Ihr Geburtstag. Auch der Geburtstag von Fox O’Dell und Gage Turner. Die beiden sind im gleichen Jahr wie Sie geboren und ebenfalls beide in Hawkins Hollow aufgewachsen. Ich habe in einem Artikel gelesen, dass Sie, O’Dell und Turner am elften Juli neunzehnhundertsiebundachtzig die Feuerwehr gerufen haben, als die Grundschule brannte, und dass Sie Marian Lister, die sich zu dieser Zeit im Gebäude befand, das Leben gerettet haben.«
Sie blickte ihm beim Sprechen direkt in die Augen. Er fand es interessant, dass sie nicht auf ihre Aufzeichnungen zurückgreifen musste und anscheinend auch keine Unterbrechung im Blickkontakt brauchte.
»Ursprünglich hat man Sie wohl verdächtigt, das Feuer selbst gelegt zu haben, aber es wurde nachgewiesen, dass Miss Lister dafür verantwortlich war. Sie erlitt Verbrennungen zweiten Grades an fast dreißig Prozent ihres Körpers und eine Gehirnerschütterung. Sie
und Ihre Freunde, drei zehnjährige Jungen, schleppten sie heraus und verständigten die Feuerwehr. Miss Lister war damals eine fünfundzwanzigjährige Grundschullehrerin, nicht vorbestraft und geistig gesund. Sind diese Informationen korrekt?«
Sie kannte alle Fakten, stellte Cal fest. Jedenfalls soweit die Fakten bekannt waren. Aber sie spiegelten nicht das Entsetzen wider, das sie empfunden hatten, als sie in die brennende Schule eindrangen und die nette Miss Lister irre kichernd durch die Flammen rennen sahen. Als sie sie einholten, brannten ihre Kleider bereits lichterloh.
»Sie hatte einen Nervenzusammenbruch.«
»Offensichtlich.« Immer noch lächelnd zog Quinn die Augenbrauen hoch. »Es gab in dieser Woche auch zahlreiche Notrufe wegen gewalttätigen Verhaltens, mehr jedenfalls, als jemals sonst in Hawkins Hollow verzeichnet wurden. Es gab zwei Selbstmorde, vier Selbstmordversuche, zahlreiche Überfälle, drei Vergewaltigungen und einen versuchten Totschlag. Häuser und Geschäfte wurden verwüstet. Keine - buchstäblich keine - der Personen, die an den Ereignissen beteiligt waren - kann sich wirklich daran erinnern. Es gab Spekulationen, dass die Stadt an einer Massenhysterie, an Halluzinationen oder einer unbekannten Infektion, die durch Lebensmittel oder Wasser übertragen wurde, litt. Was glauben
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