Abenteuer des Werner Holt
für mich ist, in deinem Leben nur … eine Randfigur zu sein!«
»Du bist dumm! Du bist auf ein Stück Papier eifersüchtig. Du wirst nächstens noch meinen Hauswirt hassen, an den bindet mich nämlich auch ein formeller Vertrag! Wenn du großes Kind ein wenig erfahrener wärst«, rief sie, »dann würdest du einsehen, daß höchstens
er
Grund hätte …« Sie schwieg unvermittelt. »Ichhab schon viel zuviel gesagt!« Sie ging rascher. »Vielleicht lassen sie uns heute einmal zufrieden!«
Tatsächlich verging die Nacht ohne Fliegeralarm. Am frühen Morgen schlief Holt fest und traumlos. Da weckte Frau Ziesche ihn unsanft. Er hatte so gründlich Batterie, Krieg und Kanone vergessen, daß ihn das Wachwerden wie eine Enttäuschung überkam. »Hör zu!« rief Frau Ziesche, die Hand am Lautstärkeregler des kleinen Radios, das auf ihrem Nachttisch stand.
Holt blinzelte. Aus dem Radio drangen Worte. »… hat der Feind seinen seit langem vorbereiteten und von uns erwarteten Angriff auf Westeuropa begonnen … zu ihrem blutigen Opfergang auf Befehl Moskaus angetreten … gelang dem Feind, von See her an mehreren Stellen … im Gebiet der Seine-Bucht starke Luftlandeverbände … Treffer auf Schlachtschiffseinheiten … Kampf gegen die Invasionstruppen ist in vollem Gange …« Sie schaltete ab und schüttelte ihn: »Wach endlich auf!« Dann sagte sie: »Da hast du’s!« Er zog sich fröstelnd die Steppdecke bis unter das Kinn. »Es wird ein neues Dieppe geben!« Nun fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. »Jetzt versteh ich!
Deshalb
haben uns die Bomber in Ruhe gelassen!«
Frau Ziesche schob ihm eine angebrannte Zigarette zwischen die Lippen. »Nun ist es doch ein Zweifrontenkrieg!« Er rang noch mit der Enttäuschung, aber er sagte: »Sei nicht so pessimistisch!« Frau Ziesche folgte ihm ins Bad. Er rasierte sich. Sie steckte sich mit nackten Armen die Haare hoch und fragte: »Du willst in die Batterie?« – »Da gehör ich jetzt wohl hin«, antwortete er.
Günter Ziesche stand vor der Baracke, von ein paar der Neuen aus Schlesien umgeben. »Nun können wir endlich auch die amerikanischen Truppen vernichtende Schläge fühlen lassen!« Vetter steckte den Kopf mit verwildertem Haar aus dem Fenster und spottete: »Paß auf, daß die Bomber dich nicht mal vernichtende Schläge auf den Gehirnkasten fühlen lassen!« Während des Unterrichts stand Wolzow in der Stube über seinen Landkarten. Wenige Tage später beugte er sich noch tiefer, noch nachdenklicher über den Tisch. »Die Russen greifen die karelische Landenge an!«Ziesche erklärte: »Dieser russische Angriff in Karelien ist nichts als ein Schwächezeichen« – »In der Normandie«, fuhr Wolzow fort, »haben sich gestern die beiden Landeköpfe vereinigt!« – »Um so besser!« rief Ziesche. »Da können wir sie in
einem
Ansturm ins Meer werfen!« Der Sprecher, in Ziesches kleinem Radio, sagte: »Der Sturm hat begonnen. Die Brust hebt sich im Vorgefühl wahrhaft entscheidender Stunde.« Wolzow, über seiner Karte, kratzte sich lange den Kopf.
Zum Nachmittagsappell ließ sich wieder einmal Kutschera sehen. »Herhörn! Ich hab eine Nachricht, wird heut durch den Rundfunk kommen, ’s geht los! Die Stunde der Vergeltung ist da! Ruhe im Glied! Seit heute morgen liegt London unter dem pausenlosen Feuer neuartiger deutscher Sprengkörper schwersten Kalibers.« Nach einigen Tagen wurden Einzelheiten bekannt, und der Name: »V 1«.
Holt registrierte Hochgefühl und Niedergeschlagenheit in jähem Wechsel, ein Auf und Ab seiner Stimmung, das ihn erschreckte. Die Nachrichten vom Einsatz der neuartigen Sprengkörper machten die niederdrückenden Meldungen aus Frankreich vergessen. Als Rundfunk und Zeitungen sich in optimistischen Meldungen überschlugen, war Gomulka der einzige, der darüber die Hiobsbotschaft zur Kenntnis nahm: »Die Amerikaner sind aus dem Landekopf Cotentin herausgestoßen.« Tags darauf wurde der Fall von St. Sauveur gemeldet.
Mit voller Wucht setzten nun wieder die britischen und amerikanischen Luftangriffe ein. Rasch hintereinander flogen die Amerikaner Tagesangriffe auf verschiedene Industriewerke der engeren Umgebung, die Briten Nachtangriffe auf Oberhausen, Duisburg und Gelsenkirchen. Eines Nachts wurden die Gelsenkirchener Hydrierwerke getroffen und brannten tagelang. Schießen und Munitionsschleppen füllte im alten Rhythmus das Leben der Jungen aus. Die Luftlagemeldungen berichteten nun immer häufiger von lebhafter Feindtätigkeit in
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