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Abenteuer des Werner Holt

Abenteuer des Werner Holt

Titel: Abenteuer des Werner Holt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Noll
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Marschmusik ertönte. Er sagte aufgeregt: »Der Führer spricht!« Da wurde schon die Tür aufgerissen. Auf der Schwelle stand Kutschera, groß und bedrohlich. Vetter brüllte: »Achtung!« Der Hauptmann winkte ab. »Alles in die Kantine! Gemeinschaftsempfang!«
    Holt hatte sich nur die schweren, benagelten Schuhe ausgezogen und war angekleidet auf sein Bett geklettert. Übermüdung und Abgespanntheit hatten einen solchen Grad erreicht, daß er alles distanziert wie ein Zuschauer im Kino erlebte, unbeteiligt, gleichsam von fern, ohne innere Anteilnahme. Geht mich alles nichts an, dachte er. Ich wach plötzlich auf, da sitzt Ziesche auf seinem Bett und quatscht: Der nordische Mensch ist zur Neuordnung Europas bestimmt, oder so ähnlich … Holt sprang vom Bett. Ist das tatsächlich erst gestern passiert? Ein Tag ist wie tausend Jahre, aber warum hat Kutschera nicht den UvD geschickt?
    »Vetter!« schrie Kutschera, und seine Stimme dröhnte wie ein Gong. »Was sagen Sie zu dem Anschlag auf unseren Führer Adolf Hitler?«
    »Ich?« stammelte Vetter. »Was ich …? Meinen Sie, was ich …?« – »Sie pennen wohl!« schimpfte Kutschera. Gomulka sagte unaufgefordert: »Herr Hauptmann, in den letzten vier Tagen haben wir keine fünf Stunden geschlafen!« Kutschera wandte Gomulka das Pferdegesicht zu, aber da rief Gottesknecht auf dem Korridor: »Herr Hauptmann, jeden Augenblick beginnt die Führerrede!«
     
    In der Kantine drängten sich übermüdete Luftwaffenhelfer, Obergefreite und Flakwehrmänner. Gottesknecht bediente den großen Radioapparat, der sonst in der Chefbaracke stand.
    Holt hatte weit hinten, in einer Ecke, Platz genommen, wo er sich wenig beobachtet fühlte. Er machte es sich auf dem harten Stuhl so bequem wie möglich. Wolzow saß neben ihm. Holt war nur noch halb wach, die klirrende Musik aus dem Lautsprecher wirkte einschläfernd. In diesem Schwebezustand zwischen Wachen und Schlafen war die Phantasie seltsam rege. Nun verstummte dieMarschmusik. Der Ansager redete und redete. Großdeutscher Rundfunk, angeschlossen die Sender … Sender und immer mehr Sender, dann war es still, eine lange Weile, und Holt dachte: Es geht gleich los! … Er legte den Kopf auf die Seite, so sah er Wolzows Profil. Sein Verstand taumelte an der Schlafgrenze entlang. Wolzow ist der beste Mann in der Geschützstaffel, deutsche Volksgenossen und Volksgenossinnen, und so einen Ladekanonier soll sich eine Batterie erst einmal suchen! Ich weiß nicht, zum wievielten Male nunmehr ein Attentat auf mich geplant und zur Durchführung gekommen ist, zum wievielten Male?, na, aber das muß der Führer doch eigentlich wissen, komisch, so was merkt man sich doch, also, ich würde mir das genau merken, ein Bombenattentat passiert ja schließlich nicht alle Tage … Holt riß die Augen auf. Der Führer spricht! dachte er. Es war ein Zauberwort von Kindheit an: Der Führer spricht! Und zwar spricht er heute besonders aus zwei Gründen: erstens, damit Sie meine Stimme hören und wissen, daß ich selbst unverletzt und gesund bin, zweitens damit Sie aber auch das Nähere erfahren über ein Verbrechen, das in der deutschen Geschichte … hoppla, nicht einschlafen! … Eine ganz kleine Clique ehrgeiziger, gewissenloser und verbrecherischer dummer Offiziere … Holt fuhr aus dem Halbschlaf hoch … hat ein Komplott geschmiedet, um mich zu beseitigen … Holt versuchte, den Schlaf abzuschütteln, es gelang, nur die Augen brannten, aber der Verstand war für ein paar Augenblicke hellwach, Holt hatte das Gefühl, jemand habe ihm einen Eimer eiskalten Wassers über den Kopf gegossen. Offiziere? Ein Komplott deutscher Offiziere gegen den größten Führer aller Zeiten?
    »Die Bombe, die von dem Oberst Graf Stauffenberg gelegt wurde, krepierte zwei Meter von meiner …«
    Stauffenberg? Holt war nicht fähig, sosehr er sich auch Mühe gab, der Rede Wort für Wort zu folgen. Einzelne Satzfetzen hakten sich in seinem Denken fest. Oberst Graf Stauffenberg? Ein Oberst legt eine Bombe? Was hat das zu bedeuten, wie ist das zu verstehen, was war damit bezweckt …?
    »… bis auf ganz kleine Hautabschürfungen und Verbrennungen.Ich fasse das als eine Bestätigung des Auftrages der Vorsehung auf, mein Lebensziel …«
    Vorsehung, dachte Holt. Er erschlaffte. Müdigkeit und Erschöpfung waren so stark, daß sie auch die Erregung niederzwangen. Ein Schleier zog sich über sein Bewußtsein, seine Gedanken liefen bunt wie im Traum durcheinander. Vorsehung, Schicksal

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