Abenteuer des Werner Holt
Vorschub!« Am Abend brachte Wolzow aber doch eine Flasche Kognak. Holt wurde nach ein paar Schlucken angenehm müde. Er dachte glücklich: Urlaub, Ruhe, endlich!
Beim Stubendurchgang befahl Gottesknecht: »Morgen wird alles eingepackt! Spinde leermachen! In unserem Batteriegelände wird ein Flakschwerpunkt gebildet … Großkampfbatterie mit achtzig oder hundert Geschützen.«
Nachts saßen sie faul im Geschützstand und sahen den Neuen beim Schießen zu. Am anderen Morgen packten sie. Vetter mußte bleiben. Der Urlaub begann zwölf Uhr und dauerte vierzehn Tage, zuzüglich zweier Reisetage. Sie liefen im Trab nach Essen. Als sie endlich auf dem Bahnhof angelangt waren, heulten die Sirenen Vollalarm. Ein Wehrmacht-LKW nahm sie mit nach Süden. In Wuppertal kletterten sie in einen Personenzug. Nach ein paar Stationen blieb der Zug auf freier Strecke stehen. Wolzow sah aus dem Fenster. »Los, raus!« Und sie liefen, während die Bomber sie überflogen, zu einer großen Schutthalde. Die Flak schoß, ringsum grollte es dumpf. Sie liefen auf einem Feldweg nach Westen. Hinter ihnen schütteten die Viermotorigen ihre Bomben aus.
15
Über der Wolzowschen Villa hing ein trüber Morgenhimmel. Es regnete.
Holt und Wolzow trugen die Rucksäcke ins Haus. Holt streckte die Füße von sich. Der Klubsessel war weich. Wolzow berichtete: »Das Haus ist voll fremder Leute, Bombenfrischler,weißt schon, Evakuierte und Ausgebombte. Da baun wir für dich ein Feldbett in mein Zimmer und sind ganz unter uns.«
Holt schlief erschöpft und traumlos. Als er am Nachmittag wach wurde, öffnete Wolzow eine Konservenbüchse. Über dem Spirituskocher, in der Pfanne, brutzelte Fett. Holt erschrak vor der heillosen Unordnung, die ringsum herrschte, alles lag durcheinander, die Stahlhelme, die Uniformen, die geöffneten Rucksäcke. Überall Gerümpel, das ausgestopfte Rebhuhn obenauf, die Duellpistolen, der zertrümmerte Totenkopf. »Wir müssen hier erst mal aufräumen, Gilbert!« – »Wieso? Ich find’s ganz gemütlich.« Wolzow kippte den Inhalt der Konservenbüchse in die Pfanne. Der Duft gebratenen Fleischs füllte das Zimmer.
Holt wickelte den Verband von den Händen. »Mein Onkel«, sagte Wolzow, »ist in Frankreich, vorher war er noch mal hier und hat einen Haufen Kram dagelassen, Vorräte: Konserven, Rotwein, russischen Tabak, sogar Kaviar, ich hab vorhin so’n Döschen aufgemacht, schmeckt wie Hering, aber satt wirst du nicht davon, da mußt du schon zehn Büchsen auf einmal fressen …« – »Ob ich nicht erst mal deine Mutter begrüße?« fragte Holt. »Lieber nicht. Du störst sie bloß beim Heulen. Ich hab ihr gesagt, daß wir da sind, das genügt.«
Das Haus war verwahrlost. Im letzten Jahr mochte nichts mehr aufgeräumt oder gar gesäubert worden sein. Nur im Erdgeschoß, wo nun Fremde wohnten, herrschte Ordnung. Holt ging ins Bad. Der Abfluß der Wanne war mit Haarbüscheln verstopft. Aus dem Hahn über dem Becken lief kein Wasser. Richtig, dachte Holt, da hat Gilbert damals das Bleirohr rausgerissen … Er duschte sich. Er sah im Spiegel, daß sich die blutunterlaufenen Stellen auf dem Rücken blau und grün färbten.
Zum Frühstück aßen sie das Büchsenfleisch aus der Pfanne. »Brot?« dozierte Wolzow. »Fleisch ist viel gesünder. Attila soll nur Fleisch gegessen haben.« Er hatte als erstes den zerlesenen Clausewitz aus seinem Rucksack geholt. Holt blätterte darin. »Wenn du dich endlich mal ’n bißchen mit Kriegskunst beschäftigen willst«, sagte Wolzow, »dann fängst du am besten mit Schlieffens ›Cannae‹ an.«
Holt klappte das Buch zu. »Danke«, sagte er und nahm die angebotene Zigarette.
Wolzow fuhr fort: »Wenn man keine militärischen Kenntnisse besitzt, kann man nämlich die Vorgänge an den Fronten gar nicht richtig verstehen. Soll ich dir sagen, warum Leute wie Branzner die Wahrheit über die militärische Lage nicht hören wollen?« entgegnete Wolzow. »Weil sie innerlich … unsicher sind, weil sie trotz aller schönen Worte den Krieg eigentlich gar nicht richtig mögen! Schau mal, der Führer sagt zwar immer, der Krieg sei uns aufgezwungen worden, aber das sagt er bloß wegen der Leute. In Wirklichkeit war nach 1918 natürlich ein neuer Krieg fällig, ich weiß doch von meinem Vater, daß ein richtiger Soldat so eine Niederlage nicht hinnimmt, ohne an die kommende Revanche zu denken. Das steht auch alles in ›Mein Kampf‹, und auch, daß wir uns neuen Boden im Osten mit dem Schwert
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