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Abenteuer des Werner Holt

Abenteuer des Werner Holt

Titel: Abenteuer des Werner Holt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Noll
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auch nicht, warum ich so eine Wut auf die hab. Wenn ich sie seh, dann wird mir schon ganz kribblig …« Er dachte: Sie ist das weibliche Gegenstück zu Ziesche und Branzner und all denen. »Sag mal, Sepp«, fragte er nachdenklich, »warum haben wir eigentlich immer gegen die etwas, die begeistert sind, von der … nationalsozialistischen Idee durchdrungen? Wenn einer kommt, irgendeinFremder, da denkt man: Sympathischer Kerl! Kaum macht er den Mund auf, da geht’s los: Herrenrasse, unbedingte Gläubigkeit, fanatischer Wille, eben das übliche. Sofort denk ich: Lieber Gott, das ist ja auch so
einer
. Eigentlich sollten die doch unser Vorbild sein, Leute wie Ziesche, in ihrem … gläubigen Fanatismus.«
    »Mir persönlich«, sagte Gomulka bedächtig, »ist Fanatismus … na, unheimlich will ich’s nennen. Warum? Mit einem Fanatiker kann man nicht reden. Der Inbegriff des Fanatismus ist für mich eine wütende Bulldogge. Lach nicht, Werner, es ist wirklich so!«
    »Aber gerade Fanatismus wird doch von uns gefordert!« rief Holt. »Und gerade, weil ich dazu neige, alles zu zergrübeln, zu zergliedern, beneide ich diejenigen, die fanatisch glauben können. Ich geb mir wer weiß was für Mühe, fanatisch zu sein! Man hätte es viel einfacher. Das Nachdenken und Grübeln, das macht einen fertig, Sepp! Ich wünschte, ich wär ein Fanatiker.«
    Gomulka richtete sich auf. »Da könnte ich nicht dein Freund sein. Stell dir vor, ich sag etwas, da springst du auf, mit funkelnden Augen, und machst Meldung … Es ist ja sowieso unmöglich, ganz aufrichtig zu sein!« Er ließ sich wieder ins Gras sinken. »Das Nachdenken«, sagte er mit ungewöhnlichem Ernst, »das macht dich nicht fertig, nur das sinnlose Nachdenken! Suchen ist richtig, nur nicht sinnlos suchen, gewissermaßen mit verbundenen Augen, im dunklen Zimmer …«
    Mit verbundenen Augen im dunklen Zimmer, dachte Holt, ja, ein gutes Gleichnis, oft ist es tatsächlich so, als tappe man im Finstern umher, dann denk ich: Das versteh ich nicht, und das werde ich nie verstehen … Was hab ich nicht alles heruntergeschluckt in diesem einen Jahr. Barnims hier sind alle verhaftet, der alte Ziesche macht im Generalgouvernement eine unbeschreiblich dreckige Arbeit, die Juden, die stillschweigend verschwunden sind, werden mit … wie hieß es doch, Chlorkohlensäuremethylester oder so, das hat Vater gesagt, und gelogen hat er noch nie! Aber da darf ich überhaupt nicht daran denken! Denn wie soll ich durchkommen, ohne Sicherheit, ohne Halt? Was ist denn überhaupt noch sicher auf dieser Welt?
    »Vielleicht verstehen wir diese Zeit nicht«, sagte er. »Aber jetzt,wo die Russen vor Ostpreußen stehen, bleibt da nicht wenigstens eins: daß wir für Deutschland kämpfen? Haben wir bisher nicht für Frauen und Kinder in Essen und Gelsenkirchen gekämpft? Vielleicht hat es nicht viel genützt, aber
daran
hab ich mich immer festgehalten: wir schützen Frauen und Kinder!«
    »Die anderen aber doch auch«, sagte Gomulka. »Wenn du damit anfängst, dann gibt es überhaupt keine Klarheit mehr. Was meinst du denn, wofür die Russen kämpfen? Laß dir mal erzählen, wie die SS von Anfang an in Rußland gehaust hat, die Feldgendarmerie und die Wehrmacht! Der Ziesche hätte dir genau erklärt, daß wir ein Recht haben, die Russen auszurotten, weil’s Bolschewiken sind. Nun versetz dich mal in so einen Bolschewisten hinein, dem vielleicht die ganze Familie erschossen oder nach Deutschland zur Zwangsarbeit gebracht worden ist. Kämpft der
nicht
für Frau und Kinder?«
    »Sepp … Du sagst das so einfach!« rief Holt. »Du nimmst diesen Widerspruch einfach hin! Und was gibt
dir
Halt?« – »Mir?« sagte Gomulka gedehnt und ausweichend. »Das ist schwer zu sagen, sehr schwer …«
    Holt dachte unvermittelt an des fremde Mädchen. Ein Mensch wird mir Halt sein, dachte er. Vielleicht hätte es Uta sein können, aber ich Idiot bin zu Gertie Ziesche gelaufen, und statt Halt zu finden und Sicherheit hab ich erleben müssen, wie mir ein Mensch immer gleichgültiger wurde, so schauerlich gleichgültig, daß mich heut noch friert, wenn ich daran denke.
    »Komm essen«, sagte Gomulka.
     
    Auf der Veranda war der Mittagstisch mit unübersehbarem Aufwand an Porzellan und Silber für acht Personen gedeckt. Gomulka stellte vor: »Mein Freund Werner Holt.« Seine Mutter war eine stattliche Frau, blond und blauäugig. Holt hörte Namen von Tanten und Nichten. Rechtsanwalt Doktor Gomulka war ein Mann von fünfzig

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