Abenteuer des Werner Holt
Jahren, mit schütterem grauem Haar und einer dunklen Brille, dennoch wie ein Doppelgänger seines Sohnes anzusehen. Er sagte höflich: »Ich freue mich wirklich
sehr
, Herr Holt!« Er pflegte verschiedene Wörter seiner Rede über Gebühr zu betonen.
Man aß eine Aprikosenkaltschale, dann Aprikosenauflauf, Aprikosenkompott, und statt des Kaffees gab es einen sehr dünnen, aber echten Tee, dazu Aprikosenkuchen. »Sie sehen«, sagte Frau Gomulka, »der Garten ernährt seinen Mann.« Das Tischgespräch bestritten fast ausschließlich Gomulka und sein Vater. Es dauerte nicht lange, bis Holt die leise Gereiztheit heraushörte, die im Gespräch zwischen Vater und Sohn mitschwang. Aus Höflichkeit beantwortete er dann und wann eine Frage; der ungeduldige Wunsch, mit sich allein zu sein, verstummte erst, als sie im engeren Kreise am Tisch sitzen blieben.
Die Verwandtschaft zog sich zurück.
»Wir hätten Sie gern schon früher einmal bei uns gesehen«, begann der Rechtsanwalt in einem Ton, als sage er: Herr Präsident, meine Herren Geschworenen! »Lassen Sie uns ein paar offene Worte sprechen. Ihre Klasse hat Verluste gehabt, dreizehn Tote, wenn ich recht informiert bin … Wie schätzen Sie Ihre weiteren Aussichten ein?«
»Wir haben Glück gehabt«, antwortete Holt. »Gilbert Wolzow meint immer, der Himmel verläßt die alten Krieger nicht.« – »Ein zweckoptimistisches Wort«, entgegnete der Rechtsanwalt, »finden Sie nicht? Rauchen Sie? Bitte. Danke, ich bediene mich selbst.« Er setzte eine Shagpfeife in Brand.
Frau Gomulka sagte, die Teetasse in der Hand: »Jede Mutter möchte ihren Sohn wiederhaben.« Gomulka rief heftig: »Mama! Du wolltest nicht wieder davon anfangen!« Sie wies ihn zurecht: »Ich glaubte dich besser erzogen zu haben, als daß du dir einen solchen Ton erlauben dürftest.« Der Wortwechsel erfüllte Holt mit Mißbehagen.
»Ihr Vater«, begann der Anwalt wieder, während er seine Brille abnahm, »wenn ich recht unterrichtet bin, so ist er gemaßregelt worden … Sie gestatten, daß ich davon spreche? Hat er sich nie mit Ihnen über die weitere Perspektive unterhalten? Haben Sie nicht gewisse Grundsätze für eine zweckentsprechende Verhaltensweise vereinbart?« Ehe er Holt ansah, setzte er seine Brille wieder auf.
Gewisse Grundsätze? Zweckentsprechende Verhaltensweise?Holt sagte abwehrend: »Mein Vater ist ein Sonderling, er hat keinen Sinn fürs Praktische … Sepp und ich, wir haben uns natürlich mal überlegt, wie wir uns verhalten wollen. Aber es kommt doch immer ganz anders. Zum Beispiel die endlose Fehde mit den Hamburgern, da sind wir hineingeraten, ohne es gewollt zu haben.«
Der Rechtsanwalt sog unzufrieden an seiner Pfeife. »Damit Sie mich recht verstehen: ich bin ein Gegner der Handlungs
normen
. Ich bin überhaupt gegen jede Norm. Sie sollen durchaus kein Schema suchen. Es gibt da zum Beispiel Soldaten, deren Gedanken in das Schema gepreßt sind: Nie freiwillig melden! Dieses wie jedes Schema ist unbedingt falsch. Der Mensch bedarf der Elastizität. Ich wünschte, ihr Jungen besäßet diese Elastizität. Die heutige Zeit, oder besser: die Gegenwart … unsere Epoche jedenfalls neigt zur Überbewertung des starren Prinzips und setzt es über die Entscheidung des einzelnen.«
Holt hatte das Gefühl, der Anwalt schleiche mit seinen Worten um ihn herum wie die Katze um den heißen Brei. Holt suchte keine Antwort, er suchte den Widerspruch, er wußte nicht, warum; es ging ihm ähnlich wie Weihnachten bei seinem Vater. »Entschuldigen Sie, Herr Doktor. Ich weiß nicht, ob das stimmt, was Sie sagen. Während der diesjährigen russischen Angriffe im Mittelabschnitt, da wurde die Rolle des Einzelkämpfers besonders hervorgehoben, eines Kämpfers also, der auf die persönliche Initiative und die Freiheit seiner Entscheidung angewiesen ist.«
»Zweifellos!« sagte der Anwalt sarkastisch. »Wobei diese Handlungsfreiheit ebenso unbeabsichtigt erteilt als auch von vornherein eingeengt worden ist.« – »Eingeengt? Wodurch?« fragte Holt nervös. »Nun … Durch die totale Ausrichtung des einzelnen. Eben durch das, was ich die heute gültigen Normen nenne. Kampf bis zur Selbstaufopferung zum Beispiel, Ehrlosigkeit jeder Kapitulation. Und so weiter.«
»Ohne zwingenden Grund«, sagte Holt herausfordernd, »halte ich Kapitulation allerdings für unehrenhaft.« Er war davon durchaus nicht überzeugt. Hatte nicht Sepp erzählt: Der Oberst Barnim soll mit seinem Regiment kapituliert haben
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