Abenteuer des Werner Holt
nur noch. »Von diesem Tag an war alles durcheinander. Ich hab oft gehört, wie meine Mutter nachts fortgegangen ist, wir hatten ja nur Stube und Küche. Im Dezember, am 9. Dezember, als ich aus der Schule kam, da war die Polizei da. Sie haben mich gefragt und gefragt, und nachher hat mich eine Frau mitgenommen und hat mich geschlagen, ich soll sagen, was ich weiß. Ich wußte nichts. Dann bin ich in ein Heim für verwahrloste Jugendliche gebracht worden. Im Frühjahr haben sie meine Mutter sechsmal zum Tode verurteilt und gleich hingerichtet.« Sie schwieg. »Nun weißt du’s. Ich bin auch schon angespuckt worden. Im Heim, da waren Mädchen, die gestohlen hatten und noch viel schlimmeres, aber die waren alle besser als ich. Und alle haben auf mich geschrien: ›Dreckstück‹ …« Ihr Gesicht war verschlossen. »Geh! Lauf ruhig weg! Ich brauch keinen.« Er lag unbeweglich und starrte in den Sommerhimmel, bis die Augen schmerzten. »Sprich zu niemandem darüber!« sagte er endlich. »Daß nur
dir
nichts geschieht.«
Ihr Gesicht wurde weich. Er sagte leise: »Ich weiß nicht, wielang der Krieg noch dauert. Ich weiß nicht, was los ist in der Welt und was aus mir wird. Manchmal denk ich, das ist alles nur ein böser Traum. Wenn ich heimkomm aus dem Krieg, dann mußt du noch da sein. Ich weiß sonst nicht, wo ich hingehen soll.« Sie sagte: »Wirst du mich auch nicht gleich wieder vergessen?« Er riß einen Getreidehalm ab und warf ihn ins Feld zurück. »Nein.« Auf einmal lachte sie. »Ich glaube, jetzt kann ich dir auch sagen, was ich gedacht hab, vorgestern, auf der Straße.« Sie blinzelte in die Sonne, die schon dicht über dem Rabenfelsen stand. »Ich hab gedacht: Der müßte mein Bruder sein.« – »Dein Bruder?« Holt war verwirrt, und sie fragte auch noch: »Möchtest du nicht mein Bruder sein?«
Er richtete sich auf. Aber nun sah er nicht nur das Gesicht mit den großen Augen und dem kindlichen Mund, sondern auch die nackten braunen Arme, die junge Brust, die das knappe Kleid schlecht verbarg, die winzigen Füße mit den Holzsandalen, die unter dem ausgebreiteten Kleidersaum hervorsahen. »Nein. Nicht dein Bruder«, sagte er und sprang auf. »Komm. Es wird bald Abend.« Er hielt ihr die Hände hin und half ihr aufzustehen, einenAugenblick standen sie unbeweglich voreinander, dann riß sie sich los. Er folgte ihr, sie gingen durch den Wald stadtwärts.
Es dämmerte. Zwischen den Bäumen herrschte ein durchsichtiges Halbdunkel. Der Pfad teilte sich. Holt wählte den längeren Weg. Eine Bank stand zwischen den Sträuchern, er zog Gundel neben sich auf den Sitz und faßte ihre Hände. Dann hob er sie auf seinen Schoß. Ihr Kopf lag an seiner Schulter. Er legte den linken Arm um sie und strich ihr mit der Rechten das Haar aus der Stirn. Etwas wie Mitleid überkam ihn, er sagte: »Du bist noch so jung!« Sie antwortete mit geschlossenen Augen: »Du doch auch!« Er küßte sie, nur flüchtig. »Nicht doch«, sagte er, »du mußt den Mund nicht so fest zumachen! Die Lippen nur ganz leis aufeinanderlegen …« Sie begann plötzlich zu lachen: »Probier’s noch mal!« Er küßte sie wieder, sie hatte begriffen. »War’s jetzt richtig?« fragte sie. Er antwortete: »Das darfst du
mich
doch nicht fragen, du dummes Kind, wenn dir’s gefällt, dann war’s richtig.« Sie hob ihm schon wieder die Lippen entgegen, sie fand Gefallen daran. Er zog sie fester an sich. Sehr behutsam, um sie nicht zu erschrecken, legte er die Hand auf ihre Brust. Sie wollte etwas sagen, aber er drückte ihr Gesicht fest an sich, dann öffnete er ihr das Kleid bis hinab zum Gürtel, sie trug darunter nur den Badeanzug. Er fühlte ihre warme Haut, er streifte den Träger des Badeanzugs über die Schulter und strich mit den Fingerspitzen hauchzart über die Wölbung ihrer Brust. Sie seufzte: »Ich hab Angst.« Aber sie legte den nackten und kühlen Arm um seinen Hals.
Er kam zu sich und erschrak so sehr, daß er sie fast von sich stieß. »Was ist?« fragte sie. Er zog sie ganz sacht wieder zu sich heran, er sprach, den Mund in ihrem Haar: »Nichts. Du gefällst mir. Du bist wie … eine Elfe.« Sie sagte unvermittelt: »Du hast recht.«
»Womit hab ich recht?«
»Daß du nicht mein Bruder sein willst.«
Das überwältigte ihn. »Wenn der Krieg vorbei ist«, sagte er, »dann komm ich und hol dich. Wenn du mich nur bis dahin nicht vergessen hast!« – »Ich dich vergessen!« rief sie. Er erhob sich undtrug sie ein paar Schritte weit,
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