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Abenteuer des Werner Holt

Abenteuer des Werner Holt

Titel: Abenteuer des Werner Holt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Noll
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und während er sie auf den Weg stellte, lag sie eine Sekunde lang an seiner Brust wie das kleine Mädchen mit den roten Schuhen. Er preßte sie hilflos an sich und barg das Gesicht in ihrem Haar.
     
    Er ging langsam durch die winkligen Gassen. Wolzow war noch nicht zu Hause. Holt saß lange am offenen Fenster. Er konnte durch die Sommernacht bis hinab zum Fluß sehen.
    Nach Mitternacht polterte Wolzow ins Zimmer, staubig und verschwitzt. »Das war ein Gewaltmarsch!« Er warf ein schweres Bündel auf den Tisch: »Unsere Schießeisen!« Das Leder der Taschen war feucht und verschimmelt. Holt hielt den belgischen Browning in der Hand, ein paar Rostflecke auf dem dunklen Stahl ließen sich abreiben. Sie rauchten Zigarren und putzten die Waffen. Wolzow war merkwürdig wortkarg. »Was hast du?« fragte Holt. »Ich? Nichts«, antwortete Wolzow. Er zog den Schlitten der Walther-Pistole zurück und ließ eine Patrone in den Lauf schnappen, zielte auf das ausgestopfte Rebhuhn und drückte ab. Der Schuß krachte in dem engen Zimmer wie eine Kanone, der Pulverdampf wehte zum offenen Fenster hinaus. Wolzow warf die Pistole auf den Tisch. Im Haus wurde es lebendig. Von unten rief jemand: »Was ist … Um Gottes willen!« Wolzow sprang zur Tür und brüllte: »Ruhe! Sonst kracht’s noch mal!« Dann saß er wieder auf dem Bett. »Und du?« fragte er übellaunig. »Warst du bei der Kleinen? Spinnt sie denn nun wirklich? Sogenannte traumatische Neurosen sind das, gibt es im Krieg häufig, ›Kriegsneurosen‹, das sind bloß abnorme Reaktionen, gab’s auch schon früher, ich glaube, ich habe schon bei Altgeld in ›Sanitätsdienst im Felde‹ drüber gelesen. Meistens ist es nur Simulation … Was denkst du, wie die das während des Weltkrieges in den Lazaretten des 16. Armeekorps gemacht haben? Da haben sie den Kriegsneurosen Gewaltexerzieren verordnet, dreimal täglich vier Stunden, du kannst dir nicht vorstellen, wie das geholfen hat! In acht Tagen waren schwere Fälle von Schüttlern und Verkrümmten wieder fronteinsatzfähig …«
    Als Holt auf seinem Feldbett lag und einschlief, sah er Wolzowwieder über den schwarzen, in Wachstuch gebundenen Heften sitzen und lesen, mit finsterem und verschlossenem Gesicht.
    Am anderen Morgen gegen elf erwachte Holt durch ein Klopfen an der Tür. »Runterkommen, die Post ist da!«
    Die Briefträgerin ließ sie beide unterschreiben. Holt sah den Umschlag. Er las nur den Stempel: »Frei durch Ablösung Reich«. In einem Schwindelgefühl lehnte er sich gegen den Türpfosten.
    Wolzow riß den Umschlag auf und las laut vor: »Sie haben sich … Mensch, das war vorgestern! … bei der RAD-Abteilung 2/461 …« Sie gingen wieder die Treppe hoch. Wolzow bürstete seine Uniform. Die Briefe waren von Gelsenkirchen an die Batterie und von dort an Wolzows Adresse nachgeschickt worden. Wolzow befahl: »Du holst den Sepp!« Aber Holt lief die Gasse hinab.
     
    Er fand das Haus wieder, riß die Tür auf und stieg die Treppe hoch. Es war dunkel hier, die Luft roch muffig. Hinter dem ersten Treppenabsatz kniete Gundel und scheuerte die hölzernen Stufen. Als sie ihn hörte, wandte sie den Kopf. Ihr Gesicht leuchtete auf. Sie war barfuß und trug eine graue Kleiderschürze. Verwirrt strich sie sich mit dem Handrücken eine Haarsträhne aus der Stirn.
    »Ich muß fort!« sagte er. »Ich muß dich noch mal sprechen.« – »Du mußt fort?« fragte sie fassungslos. »Schon heute?« Oben schlug eine Tür. Eine Frauenstimme rief: »Gundel! Mit wem schwatzt du?« Holt sah, wie Gundel erschrak, warnend den Finger auf die Lippen legte und hastig weiterarbeitete. Eine große, derbe Frau mit wirrem Haar stand auf der Treppe und lehnte sich schimpfend über das Geländer. Als sie Holt sah, rief sie erschrocken: »Guten Tag … was wollen Sie?«
    »Heil Hitler!« schrie Holt. Warte, dir werd ich! dachte er, während er die Hacken zusammenknallte. »Heil Hitler heißt das, nicht guten Tag, wo gibt’s denn so was!« Das Gesicht der Frau lief rot an. »Das brauchen Sie mir …« – »Offenbar doch!« schrie Holt, von einer grimmigen Freude erfaßt, und er versuchte, Hauptmann Kutschera nachzuahmen: »Mal herhörn! Ein Benehmen wie die Banditen!« Die Frau schielte argwöhnisch nach oben,wo geräuschvoll eine Tür aufgerissen wurde, und sagte: »Aber machen Sie doch kein …« Benagelte Sohlen polterten die Treppe herab, ein Mann beugte sich über das Treppengeländer, ein vierschrötiger Kerl mit grauem Sturzbärtchen

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