Abenteuer des Werner Holt
»Aber gern!« Er führte Holt in sein Arbeitszimmer. An den Wänden standen Regale mit Hunderten von Büchern. Holt, in einem Klubsessel, wurde ein unbehagliches Gefühl nicht los. Worauf laß ich mich da bloß wieder ein?
»Es ist … wegen gestern«, begann er stockend. »Ich bin mir darüber im klaren … Ich will sagen, man kann sich so furchtbar täuschen, aber bei Ihnen glaube ich …« – »Aber ich bitte Sie!« unterbrach ihn der Anwalt. »Der kleine Streit ist doch nicht der Rede wert … Uns muß es peinlich sein, nicht Ihnen! Zwischen den Vätern und den Söhnen gibt es gelegentlich Differenzen, das hat doch nichts zu bedeuten.« Er erhob sich. »Sie verstehen mich falsch«, sagte Holt schnell. »Ich wollte nur erklären, warum ich gerade zu Ihnen … warum ich mich gerade an Sie … es ist eine … Vertrauensfrage.«
Doktor Gomulka setzte sich wieder. »Immer frisch von der Leber weg! Reden Sie ohne Hemmungen! Sie wissen, ich bin in der Partei, Sie brauchen also keinerlei diesbezügliche Scheu zu haben. Andererseits … ich versichere Sie, daß ich Ihnen zuhören werde, als wären Sie mein leiblicher Sohn.«
»Ich habe eine Freundin hier«, sagte Holt, und er schaute auf den Anwalt, denn er fürchtete insgeheim, ausgelacht zu werden. »Es ist ein sehr junges Mädchen. Sie heißt Gundel Thieß.«
»Thieß, Thieß?« wiederholte der Anwalt. »Warten Sie. Ich entsinne mich. Das braucht Sie gar nicht zu wundern, ich kenne so gut wie jeden hier. Thieß … Ja, da war ein Vorgang, eine Vormundschaftssache …« – »Das könnte stimmen«, sagte Holt eifrig, »denn sie hat keine Eltern mehr …« – »Ich erinnere mich jetzt genau. Sie hat beide Eltern durch … recht unglückliche Umstände verloren. Vor einiger Zeit wurde die Vormundschaft neu verfügt. Womit kann ich Ihnen dienen?«
»Ich war heut dort, wo sie im Pflichtjahr ist«, sagte Holt langsam.Der Anwalt unterbrach ihn abermals. »Sind Sie über die … Ereignisse informiert, die den Tod ihrer Eltern zur Folge hatten? Ja? Dann erlauben Sie mir zunächst die Frage, ob Sie sich nicht veranlaßt sehen, die Verbindung zu dem Mädchen zu lösen.«
»Wenn Sie das von mir erwarten«, sagte Holt heiser, und er war enttäuscht, »dann …« – »Nichts, gar nichts erwarte ich«, entgegnete der Anwalt ruhig. »Ich frage nur. Sie sehen sich also nicht veranlaßt. Gut. Es paßt zu dem Bilde, das Sepp von Ihnen zeichnete. Nun weiter. Bitte.«
»Ich war heut dort. Sie können sich das Milieu kaum vorstellen, und die Menschen …« – »Ich kann es mir vorstellen«, sagte der Anwalt. »Ich kenne den Herrn. Er ist in einer bestimmten Abteilung der Gefangenen-Anstalt beschäftigt. Er genießt auch sonst den Ruf, ein … beispielhafter Nationalsozialist zu sein. Überdies ist er der Vormund des Mädchens. Gewisse Bestrebungen, dies zu verhindern, waren nach Lage der Dinge zum Scheitern verurteilt.«
»Kann man sie dort nicht wegholen?« fragte Holt. »Kann man ihr nicht helfen?«
Der Anwalt antwortete unumwunden: »Nein. Jura noscit curia. Glauben Sie mir, da ist keine Möglichkeit, überhaupt keine, vorerst nicht. Es gibt viele solcher oder ähnlicher Fälle«, sagte er und blickte zur holzgetäfelten Decke. »Es gibt weitaus schlimmere. Sie können sich nur in das Heer der Wartenden einreihen.«
»Warten«, sagte Holt, »worauf?«
Der Anwalt strich sich durch das schüttere Haar. »Credo rem integram restitutum iri«, flüsterte er. Dann lächelte er schwach und sagte: »Daß der Märchenprinz unser verwunschenes Kind bald befreie!«
Sepp riß die Tür auf. Holt erhob sich. »Ich danke vielmals, Herr Doktor.« Der Anwalt sagte: »Sie sollen sich nicht sorgen, lieber Werner Holt. Das Mädchen ist nicht so völlig verlassen, wie Sie glauben.« Er begleitete die beiden Jungen bis an die Gartentür.
Holt grübelte. Manches Wort des Anwalts blieb unklar. Er sagte zu Gomulka: »Ich finde deinen Vater großartig, Sepp!« Gomulka erwiderte nachdenklich: »Ja … Ich versteh mich ja auch mit ihm.Nur manchmal … da ist es mir zu einfach, was er sagt. Es ist in Wirklichkeit viel komplizierter.«
Wolzow saß inmitten der Unordnung seines Zimmers und las in den schwarzen Heften. Sein Rucksack stand gepackt an der Tür. Er sagte: »Wir fahren achtzehn Uhr, über Prag. Das Nest liegt an der slowakischen Grenze. Vielleicht werden wir gegen Partisanen eingesetzt. Ich hab mit Essen telefoniert, Gottesknecht läßt euch grüßen. Schau nicht so dumm, Sepp, hau
Weitere Kostenlose Bücher