Abenteuer des Werner Holt
und Glatze; er trug schwarze Reithosen und Stiefel, und das Netzhemd ließ die behaarte Brust sehen. »Was is’n hier los?« fragte er.
Durchhalten! Jetzt ist schon alles egal! Holt bellte: »Was hier los ist? Die Frau da empfängt einen, daß man denkt, man ist in der Pollackei! An den Baum binden und auspeitschen!« Das saß. Der Kerl sagte drohend: »Haste wieder dein ungewaschnes Maul … Los, du, verschwinde!« Und zu Holt: »Nu sei mal friedlich, Kamrad … Was willste denn?« Jetzt fort! dachte Holt, planmäßig absetzen! »Ich will die Eltern eines gefallenen Kameraden besuchen«, sagte er. »Nadler, das muß hier wo sein.« – »Nadler?« wiederholte der Kerl auf der Treppe und überlegte. »Da biste aber schief gewickelt, da biste falsch, aber komm erst mal hoch.« Holt zögerte. Die Neugier ließ ihn die Treppe hinaufsteigen.
In einer großen Wohnküche lungerten fünf Kinder herum, ein sechstes lag in einem Korb am Fenster. Der Kerl zog sich einen schwarzen SS-Rock über und sagte zu den Kindern: »Hagen, Wulf, haut ab … Raus, Annegret, nimm die Kleinen mit, dalli!« Dann ließ er sich auf das Sofa fallen: »Nimm Platz!« Holt studierte die Rangabzeichen. Es wurde Zeit zu verschwinden. »Ich bitte um Entschuldigung, Unterscharführer, ich konnte natürlich nicht wissen …«
»Nu setz dich erst mal«, sagte der Kerl. »Is schon gut, hast ja recht, dieses Weibszeug spurt nicht, was hab ich nicht schon versucht! Erzähl mal, wo kommst’n her?« – »Gelsenkirchen«, sagte Holt einsilbig. »Ja richtig! Die Jungs von hier sin ja alle dort unten … Und wie sieht’s dort nu aus?« – »Wie soll’s denn aussehen«, sagte Holt. »Es wird gearbeitet, trotz der Bomben, die Leute sind zähe.« – »Na also«, meinte der Kerl befriedigt. »Hier gibt’s Gerüchte, du ahnst es nicht … von Demoralisation un so … Unser Mädel spielt sich wer weiß wie auf, bloß weil sie in Schweinfurt was aufs Dach gekriegt hat … Hab ich längst durchschaut … von der Arbeit drücken will sich das Aas! Du mußt’s ja nu wirklichwissen.« Holt erhob sich. »Ich hab heut die Einberufung zum RAD bekommen, irgendwo im Protektorat muß das sein, nach der Slowakei hin.«
»Slowakei? Feine Ecke haste da erwischt!« Der Kerl nickte freundlich mit dem kahlen Schädel. »Die dort unten sin ganz schön frech … Zugüberfälle, Brückensprengungen un so, immer freiweg, wern immer frecher, un die Russen setzen nachts welche mit’m Fallschirm ab … Na, unsre gehn da jetzt aber ran, die wern hingemacht, das geht eins fix drei.« – »Vorher muß ich noch aufs Meldeamt, wegen der Adresse«, sagte Holt, »ich hab nur noch ganz wenig Zeit …« – »Hals- und Beinbruch«, sagte der Kerl und führte Holt zur Küchentür, »halt die Ohren steif! – Hagen«, schrie er, »Wulfi, Annegret, Heidrun, könnt wieder reinkomm!«
Holt lief die Treppe hinab. Im Vorbeigehen drückte er Gundels Hand. »Nach drei … wieder an der Brücke, ja?« Sie nickte. Holt stand vor dem Haus, erschüttert, verstört. Auf dem Wege zu Gomulkas dachte er: Sie muß dort raus!
Bei Gomulkas öffnete niemand. Aus der Wohnung dröhnte Radiomusik bis auf die Straße. Holt klingelte und klopfte, nichts rührte sich. Er lief durch den Garten. Die Verandatür stand offen. Holt trat ins Haus. »Sepp!« Er trat in die Diele. Das Radio dröhnte so laut, daß eine Vase auf dem Fensterbrett klirrte. Auf einmal verstummte die Musik. In der Stille hörte Holt durch die angelehnte Speisezimmertür Gomulkas Stimme, in einer fremden Sprache, langsam und betont. Nun die Stimme des Rechtsanwaltes: »Das Kroatische macht dir die meisten Schwierigkeiten, du mußt es jeden Abend in Gedanken wiederholen! Jetzt noch einmal auf russisch!« Komisch, dachte Holt, wirklich komisch! Wieder hörte er Gomulkas Stimme fremdartige, konsonantenreiche Worte formen …
»Sepp!« rief Holt. In diesem Augenblick setzte wieder das Radio ein. Frau Gomulka erschien in der Tür. »Entschuldigen Sie vielmals, ich habe geklingelt, geklopft, gerufen …« Sie führte ihn unbefangen ins Speisezimmer. »Wir haben Sie erwartet. Was meinen Sie, wann Sie reisen müssen?« – »Heute noch«, sagte Holt.»Komm mit, Sepp, zu Wolzow!« Gomulka ging, sich anzukleiden. Holt hockte trübselig auf einem Stuhl. Sie muß raus dort, dachte er. »Herr Doktor«, sagte er in plötzlichem Entschluß, »dürfte ich Sie wohl um … eine Unterredung bitten?«
Der Anwalt wechselte einen Blick mit seiner Frau.
Weitere Kostenlose Bücher