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Abenteuer des Werner Holt

Abenteuer des Werner Holt

Titel: Abenteuer des Werner Holt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Noll
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klirrte gegen einen Stuhl. Auf einen imaginären Punkt schauen, dort, über der Tür, und: vorwärts, marsch!
    Im Zug holte Wolzow eine Karte aus dem Rucksack. »Mal die Örtlichkeit studieren. Miese Gegend! Berge, Wälder, tief eingeschnittene Schluchten. Günstig für Kleinkrieg! Gut, daß ich das klassische Infanteriewerk von Boguslawski mitgenommen hab!«

Zweites Buch
    1
     
    Mitte September zog ein milder Nachsommer über die nordwestlichen Beskiden.
    Gomulka sagte zu Holt: »Eigentlich sollten wir uns nicht beklagen. Weißt du noch, wie wir uns während der Flak-Ausbildung unterhielten, wozu der stumpfsinnige Drill gut ist? Damit man Sehnsucht nach dem Einsatz bekommt.«
    Sie saßen zusammen auf der Latrine. Das war hier der einzige Ort, wo man ungestört ein paar Worte wechseln konnte. Gomulka war seit dem Urlaub schweigsam und in sich gekehrt. Sie rauchten. Über das Lager brach die Dämmerung herein.
    »Hast recht«, antwortete Holt. Essen stand mir bis oben ran, dachte er, und jetzt wünsch ich mich zurück. Alles, was kommen kann, ist besser als dieses Lager!
    Die Gerüchte von einem bevorstehenden Einsatz verstummten nicht. Jeder hatte anfangs mit Unruhe und Angst an diesen Einsatz gedacht, heute gab es wenige, die ihn nicht herbeiwünschten. »Man ist verdammt vergeßlich«, sagte Holt. »Wir werden uns eines Tages hierher zurückwünschen!« – »Bis jetzt haben wir’s jedesmal schlechter erwischt«, meinte Gomulka. Holt sog an der Zigarette. »Gottesknecht war ein märchenhafter Vorgesetzter!« – »Die Flak war überhaupt die reinste Sommerfrische«, erwiderte Gomulka. »Dort haben sie uns wenigstens noch wie Menschen behandelt.« Holt nickte.
    Hier trieb ein von morgens fünf bis abends sieben minutiös geregelter und genau vorgeschriebener Tagesablauf die Jungen an die Grenze der Erschöpfung. Holt hielt durch, er war gesund und kräftig, er schickte sich drein, daß Obervormann Schulze ihnzwanzigmal mit Karabiner und Sturmgepäck über die Eskaladierwand jagte und nahm alle Strapazen als Training. Nur Härte, dachte er, wird mich die Anstrengungen des Krieges ertragen lassen! Aber der Ton, der hier herrschte, zermürbte ihn doch, die Schikane, das ausgeklügelte und dabei so einfache System, den Willen jedes einzelnen zu brechen.
     
    Das Lager, auf dem Gelände einer Gärtnerei, war von einer hohen Ziegelmauer umgeben. Dicht beim Tor lag die große Verwaltungsbaracke mit Wachlokal, Arrestzelle und den Wohnungen der Führer. Dahinter dehnte sich der Appellplatz, hundert Meter im Quadrat, mit Schlacke bestreut. Die Gärtnerei, rings um die drei Unterkunftsbaracken, war in ein Übungsgelände mit Aschenbahn, Eskaladierwand und Wassergraben, Feldstellungen, Unterständen, Schützengräben und Drahthindernissen verwandelt worden. Die Arbeitsmänner wurden militärisch ausgebildet. An die Stelle des Spatens war der Karabiner getreten.
    Holt gehörte mit Gomulka, Wolzow und Vetter zum Trupp des Obervormanns Schulze und lag mit ihnen zusammen in einer Stube, in einem der großen, unwirtlichen Barackenräume, in dem gewöhnlich fünfzehn Arbeitsmänner mit einem Stubenältesten untergebracht waren. Aus der Batterie und Holts ehemaliger Klasse waren noch ein paar andere Schüler zur gleichen Abteilung eingerückt.
    Obervormann Schulze war ein grober, stiernackiger Bursche von zwanzig Jahren. Über dem unbewegten, leeren Gesicht floh die Stirn flach nach hinten. Den wasserhellen Augen fehlte jeder menschliche Ausdruck, sie blickten so tierhaft drein, daß Holt das Gefühl nicht loswurde, er habe es mit einem angezogenen Affen zu tun. Der deprimierende Eindruck wurde verstärkt durch die zu lang herabhängenden, mit Muskelwülsten bepackten Arme und eine reichliche Körperbehaarung, die Holt morgens beim Waschen mit immer neuem Ekel erfüllte. Die Intelligenz des Obervormanns reichte gerade, empfangene Befehle weiterzugeben, mit einer eigenartig gequetschten Stimme, die sich zu heiserem Gebrüll erheben konnte. Er verfügte über ein paar auswendiggelernteDienstvorschriften, war trotz seiner Beschränktheit nicht ohne Schläue und dabei von rücksichtsloser Ungerechtigkeit. Er verfolgte jeden, der intelligenter war als er selbst, mit Mißtrauen und Haß.
    An diesem Abend hackte Schulze auf Vetter herum. Christian Vetter war nicht mehr dick oder schwammig, er war gewachsen und überragte Holt an Körpergröße. In den sechs Wochen hatte er sich mehr als Holt und Gomulka an den rohen Ton gewöhnt und eine

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