Abenteuer des Werner Holt
spannen, daß alles ganz ideal aussah. Aber bei Böhm nützte das nichts. Böhm betrachtete die Betten nicht, er befühlte sie.
Holt kämpfte den üblichen Kampf, er fühlte sich heute schlecht in Form, das machte ihn mutlos. Er drückte und knetete und stapelte die zusammengefalteten Decken millimetergenau übereinander. Währenddessen goß er einen Becher des lauwarmen Kaffees hinunter und kaute lustlos einen mit Kunsthonig bestrichenen Brotkanten. Noch zehn Minuten! Wenskat, ein Schlächtergeselle aus dem Westerwald, fegte geschäftig. Wenn das Bett jetzt keine Gnade fand, dann war es Gottes Wunsch und Wille oder des Schicksals oder vielleicht eben auch nur Böhms, aber das blieb sich gleich. Holt zog die Drillichjacke über. Koppel, Mütze, Fingernägel, Schuhputz, Halsbinde – alles in Ordnung! Er fuhr noch einmal mit der Bürste über die Knobelbecher. Dann verschloß er vorsichtig den Spind. Hier riskierte man nicht nur, wegen »Verleitung zum Kameradendiebstahl« bestraft zu werden, hier riskierte man, daß tatsächlich der Tabak verschwand, und dann war es das beste, zu schweigen, denn hier war nicht der Dieb, sondern der Bestohlene schuld.
Fertig! Holt schaute auf Schulze, Schulze schaute auf Wolzow, Wolzow schaute auf die Armbanduhr. Schulzes Strohsack sah erbärmlich aus! Kunststück, sein Bett war ein Obervormannsbett! »Fertigmachen zum Raustreten!« Jemand hastete zur Tür herein und schimpfte: »Nicht mal in Ruhe kacken kann man hier!«
Durch das geöffnete Fenster schrillte die Trillerpfeife. Es warnun hell. Im Osten hinter den Bergen flammte der Himmel. Aus allen Baracken liefen die Mannschaften zum Appellplatz. Das Antreten klappte nicht schlechter als sonst, doch Böhm schrie: »Hilfsausbilder rechts raus! Alles nach hinten weg … marsch, marsch!« Hundertachtzig Mann trabten über den Platz, daß die Schlacke stiebte. »Hinlegen!« Auf und Nieder, zehn-, zwölfmal, bis endlich die Pfeife schrillte. »Achtung! … Euch Schweine werd ich muntermachen!« brüllte Böhm. »Nach hinten weg … marsch, marsch!« Erst als Oberfeldmeister Lesser, der Abteilungsführer, aus der Verwaltungsbaracke trat, gab Böhm sich zufrieden.
Das übliche Zeremoniell: Meldung, Flaggenhissung, Ausgabe der Parole … Hinweise fürs Scharfschießen? Wolzow wird schon aufpassen! »Abteilung … rechts um! Im Gleichschritt … marsch!« Die Kolonne zog um den Appellplatz, das gehörte nun schon zum Ordnungsdienst. – »Ein Lied!« Vorn stimmten sie an: »Ich habe Lust …« Holt murmelte: »Ich habe Lust …«, hinten schrie es: »Lied durch!« Das war Lessers Leib- und Magenlied. »Drei … vier!« Das Marschieren war tatsächlich leichter und weniger stumpfsinnig, wenn man sang. Holt dachte: Das geht jetzt anderthalb Stunden so, dann kommt die Schleiferei in den Trupps! – »Ich habe Lust im weiten Feld …« Holt schrie: »Zu streitää-än mit dem Feind!« Schlafen müßte man, dachte er, statt hier im Kreis herumzumarschieren! Schulzes gequetschte Stimme, ohne Rücksicht auf die Melodie, klang an seiner Seite: »… wohl als ein tapfrer Kriegesheld …« Als Hilfsausbilder hat man gar kein schlechtes Leben, überlegte Holt, während er sang: »… der’s treu und ree-eeed-lich meint!«
»Lied aus!« brüllte Böhm. »Nennt ihr das vielleicht singen, ihr kastrierten Ratten? Wartet, ich werd euch die Stimmritzen öffnen! Hilfsausbilder rechts raus! Alles nach links weg … marsch, marsch! Hinlegen! Auf!« So ging das fünf Minuten. Dann wieder: »Drei … vier! Ich habe Lust …« Holt war noch außer Atem, aber er brüllte, was die Lungen hergaben. Plötzlich dachte er: Böhm ist weg, vielleicht reißt er jetzt mein Bett ein! »Wohlan, die Fahne weht«, sang er, und: »Es helfe mir der Herre Gott zum Sieg …«Holts Bett war nicht eingerissen. Er setzte den Stahlhelm auf und nahm den Karabiner aus dem Ständer. Die Trupps suchten sich in der Gärtnerei einen Platz, in einem Grabenstück oder hinter dem Mauerrest eines zerstörten Treibhauses. Nun war »kriegsmäßiges Verhalten« vorgeschrieben. Schulze nahte mit einer Übungspanzerfaust. Man hörte Wunderdinge von dieser Waffe. »Leistet enorm viel«, sagte Wolzow, »wenn du gut triffst.« Holt und Wolzow standen rauchend abseits, das Rauchen war vor dem Mittagessen verboten, aber Schulze achtete heute nicht darauf. Er hatte mit sich selbst zu tun. »Der T 34/85«, erzählte Wolzow, »wie er seit vorigem Jahr im Einsatz ist, hat eine Frontpanzerung von
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