Abenteuer des Werner Holt
Unterfeldmeister Böhm, der Zugführer, ging als »Führer vom Dienst« durch die Baracken. Er mochte guter Laune sein, denn sonst pflegte er gleich an der Tür loszubrüllen: »Sauerei! Mistloch!!« Heute trat er schweigend in die Stube. Hoffentlich bleibt er friedlich, dachte Holt. Da ging es schon los: »Füße vorzeigen!« Holt hing die Beine aus dem Bett. Gomulka war vorhin barfuß auf den geölten Fußboden gesprungen und hatte sich danach die Sohlen nur flüchtig an einem Lappen abgewischt. »Dreckschwein, Misthund!« schrie der Unterfeldmeister. »Schulze, sehn Sie sich diese Sau an!« – »Raus, Sie Untier!« schimpfte Schulze. Gomulka zog die Hose über und lief in den Waschraum.
Böhm stand unschlüssig in der Stube. Jetzt überlegt er, ob’s genug ist, dachte Holt und sah den Unterfeldmeister suchend umherblicken … Jetzt geht’s los, jetzt findet er bestimmt was! »Was ist denn das?« sagte Böhm langsam. »Ein Gewehr ohne Mündungsschoner?« Er brüllte: »Wem gehört der Karabiner!?« Holt beugte sich weit aus dem Bett, bis er den Gewehrständer sehen konnte: Gott sei Dank, meins ist es nicht! Jemand sprang aus dem Bett. »Sie wahnsinnige Gestalt! Sie irrsinniges Vieh, Sie wahnsinniges!« Jetzt ist er in Fahrt, jetzt geht es weiter! »Fünfzig Kniebeugen, das Gewehr in Vorhalt, ich bring Ihnen bei, wie man mit seiner Waffe umgeht, Sie hohläugiges Gespenst!« Er hat immer neue Schimpfwörter, dachte Holt. »Und hier: Staub unter dem Gewehrständer! Und dort: eine Kippe im Aschenbecher, Jesusmariaundjosef: eine Kippe!« Jetzt ist der Stubendienst dran, dachte Holt, armer Christian!, und wütend: Die Kippe hat der Schulzeausgedrückt, als Böhm reinkam! »Dreck, überall Dreck!« tobte der Unterfeldmeister. »Die Kerle scheißen wohl in die Ecken, ja, was ist denn das für ein Sauladen, ein Schweinekoben, ein stinkiger Affenstall, verdammt!« Stille. »Alles raus, los, raus, alles!« Holt sprang aus dem Bett, vier, fünf Handgriffe, er war angezogen, er schnürte schon die Schuhe zu. »Schulze! Fünfzehn Minuten Nachtschliff, aber im dritten Grad! Häschen-hüpf will ich sehn!« Und wieder brüllend: »Ihr werdet robben, bis euch der Nabel glänzt!«
Holt lief langsam in die Nacht hinaus, bis Schulzes gequetschte Stimme »Achtung!« rief. Im Gänsemarsch trabten sie in Richtung Hindernisbahn durch die Gärtnerei. Die Aschenbahn entlanggehüpft, mit vorgestreckten Händen, dann auf dem Bauch gekrochen, es war finster, man konnte mogeln. Zurück in die Stube: Handtuch, Seife, ab in den Waschraum. Jetzt wird er wohl Ruhe geben, jetzt ist er befriedigt!
Sie krochen in die Betten. Der Unterfeldmeister stand mitten in dem trüb erleuchteten Raum. »Ich bring euch Ordnung bei!« sagte er beinahe sanft. »Ich lehr euch, was Sauberkeit ist, ihr unerzogenen Ferkel, ich mach noch Menschen aus euch … und wenn ihr drüber krepiert!« Er ging zur Tür. »Gute Nacht!« Holt wickelte sich in eine Decke. Schlafen, nichts als schlafen!
»Aufstehen! Raus!« Holt sprang im Halbschlaf aus dem Bett und wurde erst im Waschraum völlig wach, als er sich kaltes Wasser über Hals und Schultern laufen ließ. Jede Minute, die er jetzt gewann, kam dem Bettenbau zugute. Zurück in die Stube! Es war halb dunkel, Licht durfte nicht gebrannt werden.
Der Bettenbau war das Problem seines derzeitigen Lebens. Ein schlechtgebautes Bett bedeutete ein eingerissenes Bett, und dieses löste das Strafgericht Schulzes aus. Der Obervormann besaß alle Vollmachten, das Bett zum zweiten, dritten oder vierten Male einzureißen, unter Preisgabe der Mittagspause und jeder Minute der kargen Freizeit, immer wieder, bis zum Zapfenstreich und darüber hinaus. Es gab Fälle, da das Bett fünfzehn-, auch zwanzigmal am Tage gebaut worden war, und Schulze stand dabei und riß es zum fünfzehnten oder zwanzigsten Male wieder ein. Einschlechtgebautes Bett hieß, einen Tag lang ununterbrochen gequält und gepeinigt zu werden.
Es war schwer, das Bett zur Zufriedenheit des »Führers vom Dienst« herzurichten, und unmöglich, wenn der »Führer vom Dienst« Böhm hieß. Die Strohsäcke lagen hier, von allen Seiten sichtbar, auf dem eisernen Bettgestell. Sie sollten geometrisch exakte Quader darstellen, mit waagerechter Oberfläche, senkrechten Längsseiten und rechtwinkligen Kanten. Also wurden Bretter oder Kartonstreifen unter dem Laken verborgen. Man hatte gelernt, trotz eines zerlegenen Strohsacks mit Hilfe von Latten und Hölzern das Laken so zu
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