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Abenteuer des Werner Holt

Abenteuer des Werner Holt

Titel: Abenteuer des Werner Holt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Noll
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nicht preiszugeben, hat zum Beispiel 1683 dem Kara Mustapha den greifbaren Sieg gekostet! Er konnte sich nicht entschließen, seine Janitscharen gegen Karl von Lothringens Entsatzheer zu werfen, aus war’s! Ähnlich ging’s dem preußischen Friedrich, als er mit Teilkräften nach Kolin zog. Richtig hat es Napoleon gemacht. Er hat 1797 die Belagerung von Mantua aufgegeben und bei Rivoli, Corona und La Favorita die Österreicher vernichtet, woraufhin ihm Mantua von selbst zufiel. Ich habe hier den Fehler vermieden, den Napoleon 1813 gemacht hat. Napoleon«, sagte er mit unüberbietbarem Selbstbewußtsein, »hätte
wie ich
sein Heer seitlich von Paris aufstellen müssen, da hätten es die Preußen nie gewagt, ein Korps auf Paris gehen zu lassen! Sie haben es gewagt. Wären Sie gegen meinen Aufmarsch nach Norden eingedreht, da hätte ich es sehr schwer gehabt.«
    »Sie haben ein phänomenales Gedächtnis, Wolzow«, sagte Wehnert, »das hilft natürlich viel, wenn man solche Präzedenzfälle im Gedächtnis hat. Ich mach Sie zum Unteroffizier, ich schick Sie auf Offizierslehrgang. Erst müssen Sie natürlich durch den Schmelztiegel der Front. Denn Sie dürfen nicht denken«, meinte er, während er das helle Koppel zurechtrückte, »daß militärisches Wissen allein die Führernatur ausmacht, dazu gehört selbstverständlich mehr, und nicht jeder wird Leutnant!« Er nickte. »Sehen Sie mich an. Härte bis zur Grausamkeit, unerschütterlicher Glaube an die großdeutsche Sendung, und vor allem bedingungslose Treue zum Führer über den Tod hinaus … Das sind die wichtigsten Eigenschaften eines nationalsozialistischen Offiziers.« Er deutete auf den Sandkasten. »Morgen sind Sie vom Infanteriedienst befreit, da spielen wir noch einmal durch, wie es gekommen wär, wenn ich Ihre Hauptmacht angegriffen hätte.« Wolzow schrie: »Jawohl, Herr Leutnant!«
     
    Leutnant Wehnert hielt Unterricht. Thema: »Ist Rasse Schicksal?« Holt saß im Unterrichtsraum stets weit hinten, neben Peter Wiese. In seinem Rücken lümmelten sich Wolzow und Vetter auf den harten Schemeln. Wehnert trat hochaufgerichtet vor die Rekrutenhin, in seinem Rücken thronte Revetcki auf dem Katheder, ein Auge halb geschlossen, das andere weit aufgerissen und den Blick starr in den Raum gerichtet. Wehnert trug das runde Parteiabzeichen an der Panzeruniform. Der Blick seiner kalten Augen ging über die Rekruten hinweg. Er hielt die Hände auf dem Rücken.
    Jetzt konzentriert er sich, dachte Holt. Er stützte die Ellenbogen auf die Tischplatte, aber Revetcki zog drohend eine Augenbraue hoch.
    »Ist Rasse Schicksal?« fragte Wehnert mit klingender Stimme. Holt dachte gespannt: Ob er jetzt endlich mal erklärt, was er unter Schicksal eigentlich versteht? Immerfort Schicksal, Herrgott, Vorsehung …
    »Das Schicksal einer Rasse bedeutet Selbstbestimmung«, begann der Leutnant. »Denn das nordische Blut …« Holt war unaufmerksam. »… jeder einzelne daran Anteil hat …«, hörte er, »… die Möglichkeit, von sich aus zur Wiedervernordung unserer Nation beizutragen … nordische Rasse und …«
    Nordische Rasse, dachte Holt, noch keiner hat jemals erklärt, was das eigentlich ist, die »nordische Rasse«, weder Kutschera noch Ziesche, noch Lesser. Er erinnerte sich an seinen Vater. Es lag weit zurück. Holt hatte gehört, wie sein Vater mit irgendwem über die Rassentheorie gesprochen hatte. Menschenblut in vier Gruppen, A, B, AB und 0, dachte er jetzt, noch etliche Untergruppen. Aber Eskimoblut, Japanerblut, Schwedenblut, Indianerblut, da ist kein Unterschied, nur diese Gruppen. Was meinen die also mit nordischem Blut, was soll man sich darunter vorstellen?
    »Soll das deutsche Volk sich seiner rassischen Aufgabe klar bewußt werden, muß ihm eine auserwählte Führerschicht, ein neuer Adel des nordisch reinen Bluts vorangehen, sagt einer unserer Rasseforscher.«
    Holt dachte: Vater hat gesagt, das ist alles Religion, Aberglaube, Spuk, fauler Zauber. Aber er hat es nicht zu mir gesagt! Zu mir, dachte er bitter, hat er gar nichts gesagt, mich hat er laufen lassen, ins Elend, ins Unglück! … Die ständige Wiederkehr des »nordischen Blutes« in Wehnerts Rede reizte ihn. Alles Quatsch, dachteer. Aber
warum
? Wozu dieser ganze Rassen-, Blut- und Nordmenschzauber? Das müßte man wissen!
    »… die Rasse letzten Endes ein Mysterium ist«, sagte Leutnant Wehnert. Holt nickte unwillkürlich. »Man kann sie nicht erkennen, nur fühlen. Der Verstand faßt sie nicht,

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