Abenteuer des Werner Holt
Leben, der Krieg, die von gewaltigen Schicksalsmächtengeforderte Bewährungsprobe! »Spiel weiter«, bat er, »mir gefällt das …« Keiner weiß, wo wir hingeraten, dachte er. Hier ist ja nirgendwo Flak, vielleicht werden wir an einem Brennpunkt eingesetzt! Das ruhige Leben ist eine Schande in dieser Zeit! Da hab ich die letzten beiden Jahre mit meiner Mutter in Bamberg gesessen, auch dort waren Bombennächte nur eine Sage; dann und wann Alarm, was ist das, wo andere, kaum ältere, schon an der Kanone stehen? »Selbsthilfe gegen Feuer und Tod«, hatte er gestern in der Zeitung gelesen, und »Ein Wort zum Luftkrieg« von Reichsminister Doktor Goebbels.
Denn es ist die Pflicht eines jeden, mutig, ruhig und
vorbereitet
zu sein, hatte da gestanden … Weil die Wirklichkeit des Bombenkrieges jeden Brief, jeden Bericht und jedes Vorstellungsvermögen übersteigt … Ein brennendes Haus, ein verschütteter Keller darf keine neue und überraschende, nur eine hundertmal durchdachte und längst erwartete Lage schaffen … Durch die hohe Glaswand des Wintergartens fiel mildes Sonnenlicht. Wiese spielte: Kling-ling-ling … Keller, Fluchtwege ins Freie, Mauerdurchbrüche, wassergetränkte Decken, Gasmaske, Kerzen und Streichhölzer, im Keller Trinkwasser und reichlich Mundvorrat, derbe Kleider, Phosphorspritzer, Mut und Fähigkeit zur Selbsthilfe. Nicht verzagen! Zähne zusammenbeißen!
»Die Sänger-Arie«, sagte Wiese und sang mit kindlicher Altstimme: »Di ri-go-o-riiii …« Gewiß, der Luftterror nimmt in diesen Wochen immer mehr zu. Aber der Doktor Goebbels sagt: Was die Engländer durchgestanden haben und wofür sie mancher von uns bewunderte, das müssen wir jetzt durchstehen! Wie sich für die Briten auf dem Gebiet des Luftkrieges das Blatt gewendet hat, so wird es sich wieder für uns wenden. Die Engländer haben zwei Jahre darauf gewartet, unsere Wartezeit wird nur einen geringen Bruchteil der englischen Wartezeit ausmachen. Es soll niemand glauben, daß der Führer dem Wüten des feindlichen Terrors untätig zuschaue. Wenn wir über unsere Maßnahmen dagegen nicht reden, so ist das nur der Beweis … Ja, dachte Holt, der beste Beweis! … dafür, daß wir um so mehr daran arbeiten. Die Zeit ist groß und erhaben und beschwört die Erinnerung an die bestenJahre des friderizianischen Zeitalters herauf. Friedrich stand manchmal mit seinem jungen preußischen Staat vor Gefahren, mit denen wir die, welche wir heute zu überwinden haben, gar nicht vergleichen dürfen! Er ist damit fertiggeworden.
Und wir, dachte Holt, Kerle wie Wolzow und ich … es wäre gelacht!
Peter Wiese spielte. Dann, eines Tages der Endsieg! dachte Holt. Blumen, Jubel, Glockengeläut. Kling-ling-ling, läutete das Klavier. Als Holt sich verabschiedete, sagte Wiese leise: »Ihr geht ja nun bald … Ich werde wohl hierbleiben, untauglich …« Holt sah durch den Wintergarten ins Freie. Armer Kerl, dachte er.
Am Abend war Wolzow wieder da, und Holt blieb bei ihm in der leeren Villa. Sie saßen zusammen in der Halle, vor dem schwelenden Kaminfeuer. »Es werden ganz neue Flak-Waffen vorbereitet. Hoffentlich kommen wir noch richtig zum Schuß!« sagte Wolzow.
5
Stenographie bei Hessinger, dann Zeugnisverteilung durch Studienrat Maaß, da herrschte in der Klasse schon Ferienstimmung. Man verabschiedete sich vom alten Schuljahr mit Rüpeleien. Hessinger, ein gutmütiger, alter Mann, hatte arg zu leiden; er war wehrlos, und man quälte ihn. »Ich weiß nicht«, sagte Holt in der Pause, »aber es war zuviel, es war gemein.« Gomulka betrachtete ihn nachdenklich. »Hast recht.« – »Warum läßt er sich’s gefallen?« rief Vetter. »Halt’s Maul«, sagte Wolzow.
Da geschah etwas Außergewöhnliches. Der dicke, blonde Vetter, wegen seiner Leibesfülle stets verspottet, rebellierte gegen Wolzow. »Jetzt geht dir der Arsch vorm Sitzenbleiben, ha?« Es war eine Sensation.
Aber Wolzow nahm Vetter gar nicht ernst. »Du? Na, ich halt’s deiner Blödheit zugut.« Er grinste. »Da hat der Maaß nämlich ganz recht, wenn er fragt, ob du die Blödheit von deiner Mutter hast. Denn das viele Fett hast du von deinem Vater.«
Zemtzki stand hinter Vetter und stichelte leise: »Das darfst dunicht auf dir sitzenlassen!« Vetter stammelte mit hochrotem Kopf: »Das … das … solche Beleidigung, also … heute um sechs am Rabenfelsen!«
Wolzow war überrascht. »Du willst dich mit mir schlagen?« – »Du hast meine Sippe beleidigt«, behauptete
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