Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Abenteuer des Werner Holt

Abenteuer des Werner Holt

Titel: Abenteuer des Werner Holt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Noll
Vom Netzwerk:
Licht der Leuchtkugel vor ihm aufgetaucht, die Maschinengewehrgarbe peitschte ins Leere, die Schattengestalten sprangen über ihn hinweg, ein Bajonett fuhr zu ihm herab, die Kugel der erhobenen Parabellum warf einen schweren Körper auf Holt. Der nach hinten flüchtende Wolzow fiel in das Loch, riß das MG hoch und zerrte schließlich den Leichnam zur Seite. Auch Vetter und Burgkert kehrten zurück. Wolzow keuchte: »Wie die Teufel … Wie die leibhaftigen Teufel!« Burgkert schrie: »Nicht liegenbleiben! Zurück!«
    Versprengte schlossen sich an, Männer mit flackernden Augen, und an dem brennenden Dorf vorbei flüchteten sie nach Westen, bis ihnen Feuer entgegenschlug. »Durch!« brüllte Burgkert. »Durch! Hurra!« Die Schützen in den Schneemänteln waren dabei, sich einzugraben, warfen die Spaten weg und griffen zur MP. Handgemenge. Urrä und Hurra in einem. Schmetternde Detonationen von Handgranaten, splitternde Kolben, Mündungsfeuer. Holt stolperte, fiel aufs Knie. Die Maschinenpistole verschaffte ihm Luft. Vor ihm war Dunkel. Flucht!
    Dann endloses Wandern über die Ebene, über der milchigweiß ein eiskalter Morgen empordämmerte. Holt taumelte durch den Schnee. Es gab keine Gedanken mehr, nur noch furchtbare Bilder, Entsetzen, das sich in die Seele hineinfraß für immer.
    Sie rasteten an einem Wäldchen bizarr geformter, kahler Weidenstrünke. Alle Feldflaschen waren voll Schnaps. Trink, sauf, das hilft! Das gibt die Moral zurück.
    Jetzt fielen wieder Worte. »Junge!« stöhnte Burgkert. »Drei Trupps auf einen halben Kilometer, aber die hält keiner auf!« Wolzow trank.
    Holt malte mit dem Löffelstiel Striche in den Schnee. Burgkerts Worte spülten Gedanken aus der Erschöpfung hoch.
    Und wir? dachte er.
    Wir werden geschlagen. Wir sind gut ausgebildet und bewaffnet, der Burgkert hat Kampferfahrung wie keiner, wir kämpfen verzweifelt. Aber wir werden geschlagen, gejagt, überrannt. Warum? Ich bin wie gelähmt. Ist es das Bewußtsein des … Unrechts? Ist es, weil wir wissen: Alles war falsch?
    Und sie?
    Versetz dich einmal in so einen hinein … Das hatte Gomulka gesagt, irgendwann … Versetz dich in so einen, dem die SS die ganze Familie erschlagen hat … Und: Sie haben nicht angefangen! … Er dachte, die erstarrenden Beine in den Schnee gestreckt: Wir sind mit sieggewohnten Truppen über sie hergefallen und haben an der Wolga gestanden und im Kaukasus, und keiner von uns hätte mehr einen Groschen für diese Armee gegeben. Aber sie sind aufgestanden und haben uns geschlagen, immer wieder geschlagen, und haben uns vor sich her getrieben, dreitausend Kilometer weit, und sind immer stärker geworden, immer stärker, und jetzt sind sie über die Oder.
    Und da wird keiner dabeisein, der denkt wie ich: Alles umsonst. Der heimlich weiß: Das darf nicht sein, daß so was siegt. Der sich sagen muß: Alles war falsch.
    Ob es das ist, was sie unüberwindlich macht?
    Stumm saßen sie beieinander.
     
    Sie marschierten weiter. Endlich ein größeres Dorf, wieder Auffangkommandos, SS-Leute, ein Rottenführer: »Warum verlaßt ihr die Linie?« – »Jungchen, es gibt keine Linie mehr! Nur noch Russen, bildschöne Kerle! Warte nur, bis sie kommen!« Burgkert schob den Rottenführer zur Seite. Vetter rief: »Aus Frankreich kommen die, so was!« Ein Hauptmann, zitternd vor Nervosität: »11. Panzerdivision? Hier gibt’s keine Panzer, in Breslau gibt’sPanzer, aber keine Besatzungen! Was treiben Sie sich hier herum? Sie bekommen Papiere nach Strehlen!«
    Ein klappriger Lastwagen rumpelte in Richtung Westen durch den Schnee. Auf der Straße zogen ihnen Truppen entgegen, Alarmkompanien, eine Batterie Nebelwerfer, Pak, auch ein paar Selbstfahrlafetten, Troßkolonnen. Hinter ihnen grollte schweres Artilleriefeuer.
    In Strehlen machte man Anstalten, sie mit einer Alarmkompanie wieder nach vorn zu schicken. »Drücken wollen Sie sich! Zurück an die Front!« Burgkert erfand faustdicke Lügen: Funker mit Sonderausbildung, Festung Breslau, Armeekommando! Sie erhielten Marschpapiere nach Breslau.
    In Strehlen staute sich ein Menschenstrom, mit Stäben, Truppen, Troß, Arbeitsdienstabteilungen und Kriegsgefangenenkommandos. Als der Kanonendonner im Osten anschwoll, griff Panik um sich. Alle halben Stunden kämmten Feldgendarmen die Lokale durch.
    Holt sank in einem Café auf einen Stuhl. Der Transport nach Breslau ging erst am Abend. Es war warm und stickig. Wolzow schimpfte auf das Heißgetränk. Burgkert goß die

Weitere Kostenlose Bücher