Abenteuer des Werner Holt
Magazine füllen. Ab und zu schlugen aus den gegenüberliegenden Häusern Schüsse gegen die Ziegelwände.
»Was ist draußen los, Christian?«
Vetter setzte die Feldflasche ab. »Das solln sibirische Schützen sein, die uns angreifen, Russen aus Sibirien, mit einer besonderen Nahkampfausbildung, solche Sturmspezialisten! Hier ist fast alles getürmt. Aber in Strehlen … Gibt’s das? Da soll heut nacht eine Division losgeschickt worden sein, mit Panzern. Wir sollen aushalten, bis sie kommen.«
»Die müßten längst hier sein«, sagte Wolzow.
Aus den gegenüberliegenden Häusern schlug heftiges Feuer. Holt hockte apathisch in einer Ecke. Er dachte an Gomulka. Wolzow brüllte: »Raus!« Auf den Markt rollten die ersten Panzer. Sprenggranaten krachten in die Keller. Flammen, einstürzende Häuser. Klirrende Panzerketten überall. Panik. Regellose Flucht.
Eine kleine, beschädigte Holzbrücke, davor ein schreiender Menschenhaufen, in den die Panzer hineinstießen. »Nach links!« kreischte Wolzow. Breit und offen eine Straße, brennende Häuser, Holt wußte nicht, was er tat, er handelte willenlos, aber sein Blick nahm alles auf: Wieder, in weißen Schneemänteln, dicht hinter ihnen, die stürmende Infanterie. Panzer folgten nach, überholten sie feuernd. Rechts das Gelände einer brennenden Gasanstalt, Wolzow floh voran, Vetter wie ein Schatten an seiner Seite … Hinter verschneiten Kokshaufen eine leichte Pak, zwei ältere Artillerieoffiziere knieten dabei, die Pak feuerte, der erste Panzer walzte Kanone und Bedienung in den Koks … Hinwerfen! Hinter einer umgestürzten Kipplore rang Holt nach Luft, ließ den Panzer vorüberrollen, schoß auf die nachfolgende Infanterie. Flucht. Ein Bretterzaun! Verzweifelter Sprung. Er fiel samt den Planken auf die Straße. Brennende Villen. Panzer vor ihm, links, überall … Eine Tankstelle, aus der fauchend ein Riesenfeuer schlug. »Schneller!« Wolzow war neben ihm, Vetter folgte. Eine Parkanlage, in der Sprenggranaten krepierten. Große zugefrorene Teiche, splitterndes Eis unter den Stiefeln. Endlich … der Bahndamm!
Hier hielt die Garnisonstruppe eine Feldstellung. Wolzow, Holt und Vetter krallten sich am Bahndamm fest. Hundert Meter rechts lag der Bahnhof, dahinter, am Bahnübergang, rollten diePanzer ungehindert über die Gleise, gewannen die Chaussee und jagten weiter. Fern, in Holts Rücken, wurden sie von ein paar Feldgeschützen empfangen. Das Duell der Geschütze schwoll bei sinkendem Abend zu einer mächtigen Kanonade an.
Holt lag keuchend und tödlich erschöpft im Schnee. Es dämmerte. Die Infanterie in den Schneemänteln stürmte den Bahndamm. Nahkampf. Und wieder Flucht: das Eis eines kleinen Flusses barst. Flucht durch eine tief verschneite Ebene, baumlose Weite, nur kahles Weidengebüsch, bis weit nach Westen. Hinter ihnen verstummte das Schießen.
Sie wankten zurück. Ein Haufen müder Soldaten scharte sich um Wolzow, geschlagene, zerlumpte Gestalten. Der Frost wurde noch grimmiger. Schneesturm setzte ein.
Sie erreichten ein Dorf.
Hier gab es einen Gefechtsstand, gab es Offiziere, Truppen, Pak und Feldgeschütze, Depots mit Munition. Vetter brachte eine warme Feldküchenverpflegung. Holt saß im Schnee. Vetter reichte ihm ein Kochgeschirr mit Erbsen.
»Der Russe!« Geschrei, Schüsse, im Dorf beginnende Panik. Nichts geschah, Wolzow fluchte: »Die sehn Gespenster!«
Weit vor dem Dorf im Weidengebüsch bezogen sie Stellung. Noch einmal flammte das Gefecht auf. Die Schützen in den Schneemänteln rückten in der Dunkelheit vor und nahmen das Niederungsgelände in Besitz. Einen Kilometer vor dem Dorf wurde eine improvisierte Hauptkampflinie gehalten. Fern klirrten Panzer durch die Nacht. Die Hauptkampflinie war nichts als ein paar eilig ausgehobene Schützenlöcher hinter kahlen Weiden, von den Resten ausgebluteter Alarmeinheiten besetzt. Holt grub sich ein. Neben ihm schanzten Wolzow und Vetter. Sie verbanden ihre Schützenlöcher zu einem Grabenstück und hockten nun eng beieinander. Seit Stunden sprach Holt das erste Wort. »Gib mir Feuer, Christian!« Der Funke des Feuerzeugs sprang auf. Die kleine Flamme brannte ruhig hinter der hohlen Hand.
»Da sind wir aber mitten in den dicksten Matsch geraten«, sagte Vetter.
Holt starrte ins Dunkel. Nicht klagen! Ich könnte auch irgendwomit Bauchschuß liegen. Mit abgewalzten Beinen. Als Treibeis in der Oder. Nicht klagen! Ich hab’s nicht anders gewollt.
Wolzow erhob sich und schlug die Arme um den
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