Abenteuer des Werner Holt
Aber der Turm schwenkte mit unheimlicher Geschwindigkeit nach hinten. Holt kroch ins Gebüsch am Waldrand. Krachend barst eine Sprenggranate zwischen den Bäumen. Nun schmetterten zwei Panzerkanonen zugleich, denn der dritte Panzer war weit nach vorn auf die Straße gerollt, mit seitwärts gedrehtem Turm, aus dem Rohr fuhr ein meterlanger Flammenstrahl. Dann war schon mit entnervendem »Urrä« ein Zug abgesessener Infanterie über ihnen.
Holt hatte das Grabenstück erreicht, dort feuerte Vetter mit dem MG blindlings über die Lichtung. Eine Handgranate überschüttete sie mit glühenden Splittern. Zwei, drei Gestalten in Schneemänteln waren am Graben, sie schossen im Laufen, Feuer spritzte, Erde stiebte. Vetter floh nach hinten in den Wald. Holt prallte mit Wolzow zusammen. Wolzow floh. Dichtes Unterholz nahm sie auf. Holt rannte tiefer in den Wald.
Sie wurden nicht verfolgt. Der Feuerlärm war verstummt. Sie hielten atemlos und horchten: Motoren dröhnten, Panzerketten klirrten, rasch schwächer werdend, nun schon wieder weit entfernt.
»O verdammt!« keuchte Wolzow. »O gottverdammt …«
Holt lehnte mit jagendem Herzen an einem Baum. Was nun? Er zitterte noch immer. »Nichts als zurück!« befahl Wolzow. »Vielleicht schaffen wir’s noch irgendwie über die Oder!« Er rückte sich das Koppel zurecht. »Unseren Kampfauftrag haben wir jedenfalls erfüllt: Panzer aufhalten, solange es geht. Länger ging’s nicht.«
Flucht. Nach Westen durch die Wälder, über brechendes Eis der Sümpfe, uferlose Felder und durch struppiges Dickicht. An der Oder rollte der Donner einer Kanonade aus Panzerkanonen. Nach Stunden erreichten sie den Strom, dicht unterhalb der kleinen Stadt. Nur zwei Kilometer aufwärts sahen sie die Panzerspitze am Ufer, bei der gesprengten Brücke. Der Donner der Kanonen, die flach über den Strom feuerten, war so laut, daß sie sich nicht mehr verständigen konnten. Am anderen Ufer brüllten dann und wann die 15-Zentimeter-Langrohre auf. Als ein Sturmboot die drei über den Strom holte, durch Packeis und treibende Eisschollen, setzte stromaufwärts schon die Infanterie über und stürmte den Damm. Die Langrohre schwiegen.
9
Holt kletterte die steile Uferböschung hoch. Er war in einem solchen Maß demoralisiert, daß er sich am liebsten in einer Schneewehe verkrochen hätte. Er wankte den ersten ländlichen Häusern der Stadt entgegen und schob im Laufen ein paar Täfelchen derkoffeinversetzten Schokolade in den Mund. Die lähmende Erschöpfung ließ ihn das Kommende wie im Halbschlaf erleben: ein Auffangkommando, ein Haufen heruntergekommener Gestalten, Volkssturm, halbinvalide Reservisten, schlecht bewaffnet … in einem Gehöft Sammeln zum Gegenstoß! Ein Leutnant voran, durch Gärten, durch winklige Gassen, dann die breite Straße hoch zur Brücke … Schlachtflieger, Splitterbomben, Motorengedröhn und Bordwaffenfeuer … Tote, überall Tote … der Leutnant bewegungslos im Schnee … Wolzows Stimme: »Zurück!« Ein Haus am Straßenrand … Wieder Wolzows Gebrüll: »Sie greifen an!« Von der Brücke her, locker geordnet, in Schneemänteln, stürmende Infanterie …
Holt kniete keuchend hinter dem Fensterloch eines niedrigen, erdgeschossigen Hauses. Wie durch einen Schleier sah er Wolzow ein neues Magazin in die Maschinenpistole einsetzen. »Zurück!« Flucht durch Gärten … Wieder in einem Haus festgekrampft … Ein Dutzend zermürbter Gestalten, führerlos, waffenlos, ist das die Truppe? Und nun das Heulen der Granaten, berstende Einschläge, fern vom rechten Oderufer her Abschüsse von Feldgeschützen … Schlachtflieger, dröhnende Motoren, das Hämmern der Bordkanonen, Flucht von Haus zu Haus, hinwerfen, auf und hinwerfen, Christian, gib mir ein Magazin, nur noch Einzelfeuer, schieß doch! Da! … Und wieder Wolzow: »Zurück!«
Im Keller eines Hauses an dem kleinen Marktplatz kam Holt zu sich. Die angreifende Infanterie ließ sie zur Besinnung kommen, stieß nicht weiter vor. »Jetzt setzen die erst einmal Truppen über, Panzer, Artillerie«, sagte Wolzow. »Prima Brückenkopf«, meinte Vetter. Ein Donnerschlag ließ den Keller erbeben, das Dach rasselte auf die Straße. Schlachtflieger strichen über die Ruinen. Wolzow schickte Vetter ins Ungewisse.
Nach einer Stunde keuchte Vetter mit einer Kiste Pistolenmunition in den Keller. Im Halbdunkel saßen Volkssturmmänner bewegungslos an den Wänden, stumpf, wie tot, unfähig zur Flucht. Wolzow fuhr sie hart an, ließ sie
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