Abenteuer des Werner Holt
Körper. »Komm, Werner … ins Dorf! Vielleicht klappt’s mit Papieren.« Auf dem Weg redete er vor sich hin: »Die bringen jetzt Panzer rüber, immer mehr Panzer, Ari, Granatwerfer. Morgen setzen sie Schlachtflieger ein.« Sie stapften durch den Schnee.
Im Dorf vor dem Gefechtsstand hielten Lastwagen. Dort stand ein bulliger Kerl im Dunklen, sein weißer Tarnmantel leuchtete. »Der Burgkert! Herr Oberfeld!«
»Ach! Lebt ihr auch noch?« Der Oberfeldwebel war nüchtern. »Mich haben sie nach Brieg geschickt. Dort sollte unsere Elfte liegen.« Er spuckte aus. »Scheiße lag dort!« Ein paar Offiziere verschwanden im Haus. »Das Bataillon will türmen«, sagte Burgkert. »Sie laden schon ihre Privatvorräte auf.«
»Was gibt’s Neues an der Oderfront?« fragte Wolzow. »Niemand weiß Bescheid.«
Der Oberfeldwebel war mürrisch und böse. »Frag nicht so dämlich! Hilf mir lieber, ich such Leute. Wir greifen an!«
»Angreifen?« rief Holt entsetzt. »Aber das ist …« – »Der Führer soll’s persönlich angeordnet haben, daß der Brückenkopf heute nacht zu zerschlagen ist.«
Eine Schar Offiziere trat ins Freie. Ein Hauptmann, mit dem spitzen Kinn eines Greises unter eingefallenen Kiefern sagte zu Burgkert: »Sie kämmen das Dorf durch! Da steckt alles voll Drückeberger!« Er verschwand. Burgkert sagte wütend: »Affenarsch! Ein verramschter Kapitän von einem Fliegerhorst. Keine Ahnung! So was will rumkommandieren!«
Er rührte sich nicht vom Fleck. Ordonnanzen trugen Gepäck auf den LKW. Kaum waren die beiden Soldaten wieder im Haus, da sprang Burgkert zum Wagen, zerrte eine kleine Kiste herab und lief damit weg. Wolzow schüttelte den Kopf. »Das nenn ich marodieren!« Burgkert stand abseits und stopfte sich eine Flasche Kognak in die wattierte Jacke. »Holt, Sie tragen die Kiste in IhrLoch! Gut aufpassen, daß keine Flasche verlorengeht. Wird alles noch gebraucht. Wolzow, Sie kommen mit, Leute suchen!«
Die verwilderten Soldatenhaufen wurden zu einem »Sturmbataillon« zusammengefaßt und in den Löchern und Gräben vor dem Dorf bereitgestellt. Gegen drei Uhr morgens begann in ihrem Rücken die Feldartillerie zu feuern. Als Antwort fiel ein Hagel von Granaten ins Dorf. Häuser und Ställe und Scheunen barsten. Die Munitionsdepots gingen in die Luft, die Feldartillerie verstummte. Das Dorf brannte.
Holt saß in seinem Loch, die Zeltbahn über den Kopf gezogen. Wolzow schob ein MG zu ihm hin. Burgkert sah auf die Uhr. Er war aufgeräumt, sein Baß grollte wieder tief und mächtig. »Wir sind erste Welle«, sagte er. »Holt, mit dem MG schön sauber nachziehn.« Er reichte Holt die Kognakflasche, packte sechs Schnapsflaschen in Decke und Zeltbahn, schnallte das Paket mit Riemen fest und befestigte es auf dem Rücken. »Fertig!« Er sah wieder auf die Uhr und hob die Leuchtpistole. Eine grüne Leuchtkugel stieg in die Nacht. Fahles, geisterhaftes Licht.
Trunkenheit breitete sich wie Nebel über Holts Sinne aus. Er kletterte aus dem Graben und lief schwerfällig durch den tiefen Schnee. Vereinzelte Schüsse. Warum … feuern die nicht? »Weiter!« Das war Burgkert. Hurra, wer schreit da Hurra? Dort … der Graben! »Stellung!« Hinwerfen! Vor ihm Gebrüll, Schüsse, Detonationen von Handgranaten. Rote Leuchtkugeln, was soll das? Holt lief. Vetter keuchte neben ihm, sie warfen sich zu Wolzow in den Graben. »Die Stellung war so gut wie leer!« rief Wolzow. »Weiter!« schrie Burgkert. Holt lag hinter dem MG. Leuchtkugeln! Eine jählings hochschlagende Welle von Feuer und Geschrei fegte über ihn hinweg.
Aus der Tiefe der Nacht, aus der weiten Flußniederung, prallte der Gegenstoß stürmender Infanterie auf den vorspülenden Angriff. Sturmtrupps, das Bajonett gefällt, im Laufen aus Maschinenpistolen feuernd, tauchten aus dem Dunkel und zertrümmerten, zerrieben die Angreifenden, fegten über ihren Grabenhinweg und weiter nach Westen, warfen sich auf die zweite Angriffswelle, brachen ins Dorf zwischen die brennenden Häuser, stießen auf die letzten zusammengewürfelten Haufen, und es gab kein »Sturmbataillon« mehr, gab keine Reserven mehr, und die Reste der Alarmkompanien flohen regellos nach hinten. Weit im Rücken der ehemaligen Front blieben ein paar Überlebende zurück, in Löchern, zwischen Büschen, nach allen Seiten Front.
Holt lag im Graben, neben ihm ein erdfarbener Leichnam. Der Stoß war über Holt hinweggegangen wie ein grauenvoller Spuk. Schatten und Schemen waren im
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