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Abenteuer des Werner Holt

Abenteuer des Werner Holt

Titel: Abenteuer des Werner Holt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Noll
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bereiten!«
    Krachend warf er die Tür hinter sich zu.
     
    Holt verließ die Baracke. Er stieg in den Graben, unter den Schritten krachte Eis. Der Schlamm erstarrte. In einem Sappenkopf fand Holt Peter Wiese, in die nasse Decke gewickelt, die Zeltbahn darübergezogen, so saß er, den Kopf nach hinten gegen die Grabenwand gelehnt. Holt setzte sich schweigend neben ihn. Sein Magen knurrte. »Jetzt eß ich die eiserne Ration!« – »Der Leutnant hat’s verboten«, sagte Wiese. Holt kaute. »Du solltest auch was essen, du siehst ja schon halbtot aus …« Aber das Wort reute ihn, kaum daß er es gesprochen hatte.
    Wiese lächelte, ein bißchen bekümmert. »Ich denke jetzt viel an ein Buch«, sagte er, »von Hugo. Da heißt es: ›… der Mensch hat einen Tyrannen.‹ Das sagt ein ehemaliges Konventsmitglied. ›… dieser Tyrann ist die
Unwissenheit
.‹«
    »Hast du deswegen in der Schule so fleißig gelernt?« fragte Holt.
    Wiese rückte zur Seite und zog die Zeltbahn enger um seine Schultern. »Eigentlich, weil mich an der Welt so vieles irritiert hat … Und ich hoffte … es wäre möglich … ›Der Mensch darf nurvon der Wissenschaft beherrscht werden!‹ – ›Und vom Gewissen‹, wird ihm entgegengehalten. Da sagt das Konventsmitglied: ›Das ist dasselbe‹. Stell dir vor, er meint: Wissenschaft und Gewissen ist dasselbe!«
    »Dann sind wir ganz gewissenlose Menschen«, meinte Holt, und das Wort weckte in ihm Beklommenheit. Aber … »Der Knack«, rief er, »hat uns doch immer wieder vor einer Überschätzung der Wissenschaft gewarnt! Verwelschung, hat er gesagt. Dem nordischen Menschen entspricht die Beziehung auf das Unendliche …« Wiese sagte: »Ja … Aber … wo es hinführt, wenn man das Maß verleugnet, das weiß ich … wenigstens in der Musik. Dort führt es zu Wagner. Beinahe ins Nichts. Oder überhaupt ins Nichts.« – »Deshalb steht bei den Germanen am Ende immer der Untergang«, sagte Holt. »Schon im Nibelungenlied heißt es, daß Freude zuletzt mit Leid endet …« Er glaubte nichts von alldem, was er sagte. Er dachte: Alles falsch, alles Lüge!
    Wenn es möglich wäre, dachte er, daß man den Krieg übersteht, dann müßte man ganz von vorn anfangen, umlernen, suchen, fragen …
    »Mach Schluß mit dem Gegrübel, Peter! Jetzt brauchen wir Härte.« Er wickelte sich in seine Decke und versuchte zu schlafen. Und wieder dachte er: Mit verbundenen Augen … im dunklen Zimmer …
     
    Am anderen Morgen fuhr Wehnert mit Boek nach hinten, um endlich Verpflegung heranzuholen. Er übergab Wolzow das Kommando. Auf der Chaussee nahm der Verkehr immer mehr zu. »Ich hau mich jetzt bißchen hin«, sagte Wolzow. Holt blieb mit Vetter an der Panzersperre. Er rauchte. Gedankenlos blickte er die Chaussee entlang nach Osten, starrte durch den Morgendunst.
    Vetter fragte: »Siehst du das, dort hinten?«
    Es kroch wie ein riesiger, grauer Wurm heran, fern, die Chaussee entlang, langsam. Ab und zu wehte ein feiner Knall an Holts Ohr.
    »Klingt wie Peitschengeknall!« sagte Vetter.
    »Klingt wie Schüsse«, sagte Holt.
    Die Posten an der Sperre standen unbeweglich. »Eine Marschkolonne! Eine ganz ulkige! Und so langsam …«
    Ein Auto rollte heran, darin ein dicker Zivilist und drei Frauen. Holt kontrollierte die Papiere. Beruf Betriebsführer. »Sagen Sie mal«, fragte er, »Sie haben da doch eine Kolonne überholt …« Eine der Frauen rief: »Wir haben nichts gesehen, gar nichts …« Der Mann gab Gas.
    Der graue Zug schob sich näher an die Panzersperre heran und löste sich auf in Trupps. In unregelmäßigen Abständen von zwei oder drei Minuten peitschten dünne Pistolenschüsse durch die Luft. An der Sperre wurde abgelöst. Unter den neuen Posten war Peter Wiese, übernächtig, der Stahlhelm schien ihn zu erdrücken, der Karabiner, der ihm schon immer zu schwer gewesen war, hing schief und kläglich an der Schulter.
    »Ausgeschlafen?« fragte Holt. Wiese hatte noch nie geklagt. Holt wendete den Blick wieder nach Osten. Die graue Menschenkolonne schlich langsam näher und passierte die Sperre … An der Spitze SS-Leute, Maschinenpistolen umgehängt, Handgranaten in den Stiefelschäften, und links und rechts des Zuges SS-Leute, die geöffneten Pistolentaschen vorn am Koppelschloß, die Mützen im Genick, junge Gesichter, stumpf, unbewegt, wachsam … Langsam schleppte sich der lange, graue Zug dahin: Gestalten, lebende Skelette, von gestreiftem Drillich umschlottert … hautüberspannte Totenschädel

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