Abenteuer des Werner Holt
Burgkert im offenen Turmluk, er dirigierte den Fahrer, der als einziger wieder in die tödliche Enge des Panzers hinabsteigen mußte.
Die Brücke lag tief im Wasser. Die Einschläge der Granatenüberschütteten sie mit Eis und Stahl. Das ferne Ufer lag hinter weißem, eiskaltem Nebel. Das hab ich schon einmal gesehn, dachte Holt, diese Brücke kenn ich doch … Aber es war nur ein Ölgemälde, ein Bild, das nun in seiner Erinnerung hochstieg. Beresina. Als der Panzer seine sechsundvierzig Tonnen auf den Brückenbelag schob, sanken die Pontons bis zum Rand. Die Brücke hielt. Langsam rollte der Panzer zur Strommitte, näherte sich dem linken Ufer, der zweite folgte. Es war nun taghell.
Da waren die Schlachtflieger da. Am Ufer hämmerte Vierlingsflak. Der zweite Panzer zerbarst in einem Bombentreffer und stand als lodernde Fackel über der Mitte des Stromes. Holt hob schützend die Arme über den Kopf. Der Panzer unter ihm schwankte, eine riesige Wassersäule, mit Eis vermischt, stieg zum Himmel. Zwei Pontons schlugen voll. Die Brücke senkte sich tief, schon war der Belag überschwemmt, der Panzer neigte sich zur Seite, neigte sich mehr, Holt ließ sich auf die Brücke fallen. Auch Wolzow sprang ab. Vetter fiel auf Holt. Burgkert stand noch im Turmluk. Der Panzer kippte von der Brücke in das zerkrachende Eis. Von der Tonnenlast befreit, schnellte die Brücke hoch. Rohr und Kommandantenkuppel ragten aus dem gurgelnden Wasser.
Burgkert gewann einen Ponton. Holt erhob sich taumelig. Ein Schlachtflugzeug fegte mit seinen Maschinengewehren die Brücke leer. Ein schwerer Schlag traf Holt und warf ihn von den Planken in einen Ponton.
Dort lag er, in flachem Wasser, den Kopf nach hinten gestaucht, und langsam schwand sein Bewußtsein. Er sah den grauen Himmel über sich, von Blitzen überflammt, er hörte wieder Gottesknechts Stimme, doch wie fern war das: Durch die sieben Höllen … Dann halluzinierte er: Während die Dämmerung tiefer über sein Bewußtsein sank, sah er über sich das zarte und klare Gesicht Gundels, aber die großen Augen sahen ihn nicht an, und der Mund lächelte nicht. Nebel wogte darüber hin.
Holt lag in einer kleinen niederschlesischen Stadt in einem Lazarett, das einmal Reservelazarett gewesen und geräumt worden war und nun als Feldlazarett die Masse der von Osten zurückflutenden Verwundeten aufnahm und versorgte. Gehfähige und Leichtverwundete wurden weitergeschickt. Die Front rückte näher und spülte eine Woge verwundeter, kranker, zermürbter Soldaten vor sich her. Im Seitenflügel wurde ein Hauptverbandplatz eingerichtet. Geschützdonner drang bis in die Krankenzimmer.
Holt lag mit einem Oberschenkeldurchschuß. Das Geschoß hatte kein größeres Gefäß, keine Nervenbahn getroffen. Vier Wochen, sagte man ihm, höchstens sechs … Man war Schlimmeres gewöhnt: Schuß- und Splitterverletzungen mit eitriger Wund- oder jauchiger Gewebsinfektion, Gasödem, metastasierende Allgemeininfektion, Tetanus, Wunddiphtherie … Er hatte die erste, schwere Woche der Wundschmerzen und des Fiebers in einem Zustand der Apathie hinter sich gebracht; dann war die Trübung des Bewußtseins geschwunden, und er hatte in seinem Bett gelegen, an die weiße Decke geschaut und haltlos vor sich hin geträumt, wie als Knabe, als er Weltreisen, Ruhm und Macht in endlosen Tagträumen fortspann … Nun, in den einsamen Krankentagen, malte er sich bunte Traumbilder aus, die in einer abseitigen Welt, in einem zeitlosen Frühling spielten … Die lautlosen Schritte der Ordensschwestern störten ihn nicht. Das Elend der Verwundeten, die Qual der Sterbenden, das alles drang kaum in seine Traumwelt hinein.
Holt hatte sein Versprechen gehalten und das Bild an Gomulkas Vater geschickt, aber den Brief des Rechtsanwaltes, der bald darauf eintraf, ließ er unbeantwortet. Er hatte auch an Gundel geschrieben und von ihr Post erhalten. Als dann eines Tages die Schritte benagelter Sohlen und rauhe Stimmen laut wurden, schrak er zusammen. Es riß ihn aus seinen Träumen zurück in die Wirklichkeit. Wolzow war gekommen! Frost, Dreck, Schweiß- und Ledergeruch umgaben ihn. Das Leben brach in das stilleKrankenzimmer und mahnte Holt, daß noch nicht alles vorbei war.
Es war Mitte März. Seit einer Woche verließ Holt das Bett und humpelte durchs Zimmer, stand am Fenster und blickte in den Garten. Der Schnee schmolz, warme Luft strich durch das Fenster, dann brach wieder klirrender Frost herein. Gewölk trieb von Westen
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