Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Abenteuer Jakobsweg - Höhen und Tiefen einer langen Reise (German Edition)

Abenteuer Jakobsweg - Höhen und Tiefen einer langen Reise (German Edition)

Titel: Abenteuer Jakobsweg - Höhen und Tiefen einer langen Reise (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meik Eichert
Vom Netzwerk:
zauberhaften Glanz, der durch Nässe und abziehende Regenwolken noch hervorgehoben wurde. Perigeux gefällt mir. Extrem enge Gässchen durchziehen die Altstadt, die von attraktiven Häusern gesäumt wird und über allem bestimmt die mächtige Kathedrale das Bild der Stadt. Auf mich hat die Stadt eine enorme Ausstrahlung, hier könnte ich ein paar Tage verbringen. Gerard gefiel sie gar nicht. Da sind sie wieder, die unterschiedlichen Geschmäcker.
     
    Wieder zurück in der Wohnung war es Zeit für das Abendessen. Aminata hatte ein schmackhaftes vegetarisches Gericht gezaubert. Anschließend saßen wir fast 3 Stunden zusammen am Tisch und unterhielten uns in einem 4-Sprachen-Gemisch. Aminata war die einzige, die sowohl französisch, englisch, deutsch und, na klar, holländisch verstand. Dadurch wurde ihr die Dolmetscherfunktion zuteil. Es ging natürlich um den Weg und das Leben im Allgemeinen. Politische Themen, Aktuelles aus der Welt und ähnliche Dinge interessierten uns gar nicht. Unser Gespräch machte deutlich, dass wir uns in einem eigenen kleinen Mikrokosmos befinden. Das schöne ist, dass jeder von uns den anderen so sein lässt, wie er ist, ohne darüber ein Urteil zu fällen. Vor Aminata ziehe ich ganz besonders den Hut. Sie hat einige Jahre in Ghana, ganz in der Nähe meines Patenkindes, gelebt und dort ein Hilfsprojekt maßgeblich vorangetrieben, bevor sie aus gesundheitlichen Gründen nach Europa zurückkehren musste. Nun hat sie sich ganz bewusst für dieses einfache Leben entschieden und ist glücklich damit. Man nimmt es ihr ab.
     
    Aber auch Annike, die Französin, verdient Bewunderung. Mit ihren 70 Jahren hat sie sich alleine auf den 1.700 km langen Weg von Vézelay nach Santiago gemacht, ohne Unterbrechung wohlgemerkt. Man spürt ihren Elan und zweifelt nicht eine Sekunde daran, dass sie es schaffen kann. Hochachtung!
     
    Ich gehe (wieder einmal) sehr zufrieden ins Bett, der heutige Tag hat mir eine Menge Input gegeben, von dem ich hoffentlich noch lange etwas haben werde. Dass meine Füße immer noch nicht ganz in Ordnung sind, stört mich längst nicht mehr. Scheint wohl mein Dauerbrenner auf diesem Weg zu sein. Das hätte ich vorher am allerwenigsten erwartet.
     

                                                Kathedrale von Perigeux
    Tag 47, Périgeux - Douzillac 40 km
     
    Henk hatte sich schon früh am Morgen Richtung Bah nhof verabschiedet. Als ich mit Annike und Aminata am Frühstückstisch saß, raste er schon im Höllentempo dem Alltag entgegen. Nach 50 Tagen Fußmarsch dürfte ihm die Geschwindigkeit im Zug zumindest so vorgekommen sein. Annike begab sich ganz entschlossen als Erste auf den Weg, ich ließ mir, wie immer, mehr Zeit. Aminata verriet mir, dass es ihr häufig schwer fällt, Abschied von ihren Gästen zu nehmen, weil ihr diese nach den meist intensiven Gesprächen schon so vertraut geworden sind, und sie weiß, dass sie kaum jemanden wiedersehen wird. Dies ist ihr jedoch lieber, als all’ diese Leute gar nicht kennenzulernen.
     
    Périgeux am Morgen präsentierte sich grau und regnerisch. Die Stadt lag erstaunlich schnell hinter mir. Mit neuen Schuhen gab es wieder nix – Pfingstmontag! Aber egal, jetzt haben die Treter so lange durchgehalten, da werden sie wohl ein paar zusätzliche Tagesetappen auch noch mitmachen.
     
    Den ganzen Vormittag stand ich noch unter dem Eindruck unserer gestrigen Unterhaltung. Durch ihre Gesprächsführung und -inhalte, sowie das, was sie persönlich vermittelt, hat Aminata einen Spiegel geputzt, in den ich immer wieder gebannt hineinschaue. Nicht weil mir so gut gefällt, was ich darin sehe, sondern vielmehr, weil der ungetrübte Blick Schwachpunkte und Unzulänglichkeiten aufdeckt, die mir nie zuvor so bewusst waren wie heute. Fest steht, sie werden mir sicher noch eine Menge Arbeit bereiten. Zwischen Anspruch und Wirklichkeit klafft noch eine ziemlich große Lücke, wie ich feststellen muss. Tröstlich, dass ich in manchen Dingen wenigstens schon die richtige Fährte aufgenommen habe. Das gibt Hoffnung. Aminata ist erstaunlich. Wie sie es geschafft hat, mir in einem von vorne bis hinten höchst angenehmen Gespräch ohne jeden Missklang schonungslos Wunden aufzudecken, das macht mich nachdenklich. Aber ich bin auch froh darüber. Jetzt weiß ich noch besser, wo überall ich den Hebel anzusetzen habe. Und mir ist schlagartig klar, dass der Camino selbst mir keine finalen Entscheidungen liefern oder

Weitere Kostenlose Bücher