Abenteuer Jakobsweg - Höhen und Tiefen einer langen Reise (German Edition)
gar abnehmen wird. Jedoch liefert er Fingerzeige und Hinweise, die es zu erkennen gilt, aus denen ich die richtigen Schlüsse zu ziehen habe. Er ist eine Riesenchance und schon jetzt eine wahnsinnige Bereicherung für mein Leben. Ich spüre förmlich, wie wichtig der gestrige Tag für den weiteren Verlauf des Camino und die Zeit danach sein kann und sein wird - wenn ich meine Erkenntnisse richtig verwerte. Das Gute ist, ich hab’s selbst in der Hand, bin nicht auf fremde Hilfe angewiesen. So wie ich allein dafür verantwortlich bin, was bis heute aus mir geworden ist, so bin ich auch allein dafür verantwortlich, was noch aus mir wird. Ob ich in Zukunft glücklich sein werde oder nicht, hängt nicht an anderen Menschen oder vorgegebenen und gesellschaftlich akzeptierten Idealen, nein, es liegt bei mir selbst! Ich entscheide! Die Sache wird mit sich bringen, dass es Leute geben wird, die über mich urteilen, obwohl sie dazu objektiv gar nicht in der Lage sind. Daran darf und werde ich mich nicht orientieren. Der Mensch ist halt so. Er redet gern, viel und am liebsten über andere. Wir hätten eine Menge Schwierigkeiten weniger auf der Welt, wenn das nicht so wäre. Ich glaube, auch mit 70% weniger Kommunikation würde immer noch genug gesagt. Aber das ist ein ganz anderes Thema und sollte jeder so handhaben wie er es für richtig hält.
Noch ein paar Worte zu Aminata. Sie ist intelligent, weise, lebenserfahren, tolerant
und warmherzig. Außerdem bewundere ich sie dafür, wie viel Respekt sie anderen
Menschen entgegen bringt. Wenn man mit ihr über Dinge redet, beleuchtet sie diese aus Blickwinkeln, die man bisher noch gar nicht gesehen hat. Sie regt zum Nachdenken und Hinterfragen an, gibt Denkanstöße, lässt aber immer genügend Raum, zu einem eigenen Urteil zu gelangen. Sie manipuliert nicht. Ich glaube, sie würde nie pauschal einen anderen Menschen verurteilen, ohne sich vorher ein eigenes Bild zu machen. Wenn sie ein Problem mit jemand anderem hat, sucht sie zunächst bei sich selbst nach Lösungen. Sie hat einen einfachen Wahlspruch: Willst du einen anderen Menschen verändern, fange bei dir selber an. Sie ist keineswegs völlig selbstlos, aber sie kombiniert die Dinge zu einem Ganzen, indem sie gibt und dadurch bekommt, was sie glücklich macht.
Es war für sie ein langer und teils auch harter Prozess, diese innere Balance zu finden, schmerzhafte Entscheidungen waren damit verbunden. Sie hat viele Jahre lernen müssen, aus Erfahrungen und Erlebnissen die richtigen Lehren zu ziehen. Früher hat sie viel zu oft halbherzige und unbefriedigende Kompromisse geschlossen. Unterschwellig war in dieser Zeit aber auch immer eine gewisse Unzufriedenheit vorhanden. Seit sie konsequent ihrem Herzen folgt, haben sich ihr Türen geöffnet, die bis dato fest verschlossen schienen. Sie stellt nicht den Anspruch, Ihr Handeln und Denken als das einzig Wahre anzuerkennen, Maßstab zu sein. Jedem sollte es selbst überlassen sein, den für sich besten Weg selbst zu bestimmen, solange man es nicht zu Lasten anderer tut. Eine nachahmenswerte Einstellung, wie ich finde! Ja, ich bin wirklich beeindruckt von Aminata. Schön, dass ich bei ihr sein durfte!
Und der heutige Weg? Wenig spektakulär. Trübe, in der Wettervorhersage hieße es wahrscheinlich: Unbeständig, überwiegend stark bewölkt, gelegentliche Schauer, nur kurze sonnige Abschnitte, starker Wind aus wechselnden Richtung mit vereinzelten Sturmböen, Temperaturen um 12°C, für die Jahreszeit viel zu kalt (erst recht wenn man bedenkt, dass ich in Südfrankreich bin). Wen stört’s? Vor Saint-Astier lief ich durch eine schöne Allee. In dem Ort, der dem gleichnamigen Heiligen gewidmet ist, machte ich eine kurze Pause. Es soll dort eine Pilgerherberge geben, die aus einem festen Zelt auf dem Campingplatz besteht. Nee, das wollte ich mir bei diesem Wetter, noch dazu so früh am Tag, nicht antun. Ohne auf die Wegmarkierungen zu achten, folgte ich der Hauptstraße bis Douzillac. Es war wieder einmal kein Wetter für matschige Feldwege. So ging ich statt der deklarierten 40 nur 35 km und konnte obendrein meine Füße schonen.
Meine Unterkunft verdanke ich übrigens auch Aminata. Ohne ihre Empfehlung wäre ich hier sicher nicht gelandet. Ein absoluter Volltreffer! La Ferme Fleuri ist ein alter Bauernhof, vor 3 Jahren von einem holländischen (natürlich!!) Ehepaar erworben und seither liebevoll wieder aufgemöbelt worden. Eine Oase mitten im Grünen, ideal
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