Abenteuer Jakobsweg - Höhen und Tiefen einer langen Reise (German Edition)
hübsches, quirliges und neugieriges Kind. Gerne ließ ich mir erst ihre Schule und dann den Weg nach Träg von ihr zeigen. Am Ortsende kehrte sie um, weiter dürfe sie nicht gehen, sagte sie mir. Als ich mich später nach ihr umdrehte, war sie bereits verschwunden. Mir war Unwohl bei dem Gedanken, wie leicht es gewesen wäre, das Mädchen zu entführen. Hoffentlich gerät sie in ihrer kindlichen Gutgläubigkeit nicht mal an einen Mann mit perfiden Hintergedanken. Leider sind derartige Fälle ja viel zu häufig Realität.
In Träg, 2 km hinter Welschbillig, fand ich auf Anhieb mein Quartier für die kommende Nacht, ein Jugendgästehaus, das seinen Namen Eifelblick angesichts der guten Aussicht zu Recht trägt. Bei meiner Ankunft wurde ich nicht nur vom Inhaber des Hauses begrüßt, sondern auch von einer lärmenden Horde holländischer Schülerinnen und Schüler im Teenageralter. Mit 2 Bussen waren sie kurz vor mir angekommen. Neben dem gewünschten Zimmer bekam ich den Hinweis, dass die Gruppe am Abend eine Disco veranstaltet und es daher etwas lauter werden könne. War mir egal, ich hab‘ ja Ohropax! Zunächst einmal gönnte mir die Gruppe jedoch ein paar Stunden Ruhe, da sie einen mehrstündigen Ausflug auf ihrem Programm stehen hatte. Ich nutzte die Stille, um ein wenig im wärmenden Sonnenlicht zu dösen. Morgen erreiche ich also Trier, das erste Zwischenziel meiner Pilgerreise, ging es mir durch den Kopf. Gleichzeitig ein erster Meilenstein? Ich bin mir nicht sicher. Erst mal sehen wie der Tag verläuft. Nach dem Gesetz der Serie müsste es ja eher ein schlechter werden. Lasse mich aber gerne eines Besseren belehren.
Nach dem Abendessen unterhielt ich mich fast 2 Stunden mit dem Inhaber des Hauses bzw. hörte mir seine Lebensgeschichte an. Beinahe emotionslos, trotzdem spannend, erzählte er mir von Höhen und Tiefen. Nach und nach bekam ich ein Bild davon, was der Mann in seinem Leben schon auf die Beine gestellt hat, welch eine Energie in ihm stecken muss. Je länger er sprach, desto mehr beeindruckte er mich. Vor über 30 Jahren hat er das Haus, damals noch sehr klein, übernommen und es im Laufe der Jahre immer weiter ausgebaut, dabei fast alle Arbeiten selbst ausgeführt. Heute bietet er über 200 Gästen gleichzeitig, meistens Schülergruppen auf Klassenfahrt, Unterkunft. Von Ende März bis Ende Oktober hat er geöffnet und managt in dieser Zeit weit über 10.000 Übernachtungen, größtenteils allein mit seiner Frau und einem Teil der Familie. Aufstehen ist morgens um 5 Uhr angesagt und ins Bett geht es meistens nicht vor Mitternacht. Für die holländische Gruppe beispielsweise, die morgen weiterreist, muss er bis 8 Uhr über 100 Lunchpakete bereithalten. Frühstück serviert er vorher. Im Winter wird der Betrieb renoviert, es werden notwendige Reparaturen durchgeführt und er erweitert sukzessive. Im Moment baut er gerade an einem richtigen Kino. Nebenbei hat er sich und seiner Familie ein schmuckes Eigenheim hingestellt, natürlich fast ausschließlich in Eigenleistung. Dazu hat er erfolgreich ein Ingenieur- und ein BWL-Studium absolviert und sich autodidaktisch EDV-Programmierung beigebracht, um die Software- Programme für seinen Betrieb selbst schreiben zu können. Interessant und keinesfalls alltäglich klingt auch sein privater Werdegang. Seine Frau, eine Polin, hat er kennengelernt als er 40 war, in der Zeit seiner größten Lebenskrise. Damit ging’s für ihn persönlich nach einer Phase schlimmer Depressionen wieder aufwärts. Inzwischen ist er Vater dreier Kinder, hätte aber bei der Geburt des 3. Kindes um ein Haar Frau und Baby verloren. Dass dies nicht passiert ist, verdankt er allein der glücklichen Fügung, dass der richtige Arzt zur richtigen Zeit an der richtigen Stelle war und die ursprünglich gestellte Diagnose eines anderen Arztes korrigiert hat. Keine 15 Minuten später hätten Frau und Kind keine Überlebenschance mehr gehabt. Nun ist eines seiner Kinder hochbegabt und ich staune nicht schlecht, welche Schwierigkeiten sich daraus für Kind und Eltern ergeben. Einen geeigneten Schulplatz für das Kind zu finden war nur eins der Probleme, die sich aufgetan haben. Noch viel mehr hatte er zu erzählen, auch über andere Familienangehörige, bis auf gelegentliche Fragen hörte ich nur zu, war fasziniert.
Es war bereits 22 Uhr durch, wir beide fingen an zu gähnen, waren hundemüde, als ich mich auf mein Zimmer verabschiedete. Gerne hätte ich noch länger
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