Abenteuer Jakobsweg - Höhen und Tiefen einer langen Reise (German Edition)
warten. Er öffnete die Schranke und fuhr in seinem Auto vor. Wie sich herausstellte, war er Jagdaufseher oder so was ähnliches und hatte unterwegs einen Pilger aufgegabelt, der sich vorher in dem Wald hoffnungslos verirrt hat. Gemeinsam mit diesem Pilger setzte ich meinen Weg fort. Er erzählte mir, dass er keine Ahnung mehr hatte, wo er sich befand und einfach nur froh war, als der Jagdaufseher in seinem Auto vorbeikam. Durch meine Pilgerbekanntschaft war ich etwas abgelenkt und nicht mehr ganz so lahmarschig. Ich erfuhr, dass er aus Bottrop kommt und wie ich am 12.04. in Köln gestartet ist. Durch eine unterschiedliche Etappenplanung sind wir uns bisher nicht begegnet. Am kommenden Wochenende geht es für ihn schon wieder nach Hause. Er teilt seinen Weg in mehrere Abschnitte auf, wird im September das nächste Teilstück in Angriff nehmen und hofft natürlich, in ein paar Jahren Santiago zu erreichen. Ich schätze ihn auf um die 50 Jahre. Ein stiller Zeitgenosse.
Wir waren vielleicht einen Kilometer zusammen unterwegs, tauschten uns gerade ein wenig aus, da gesellte sich eine Dame von Mitte oder Ende 60 Jahren dazu, penetrant bis zum Gehtnichtmehr. Sie begleitete uns vielleicht 15 oder max. 20 Minuten, aber diese Zeit nutzte sie, um uns gnadenlos vollzutexten. Ungefragt schimpfte sie über Hartz IV, die Amis, die Gesellschaft, die Jugend von heute, fing von ihrer beruflichen Karriere als Fotografin an und erzählte von ihrer zweifellos zu bewundernden Wanderung über 900 km nach Berlin. Sie war in ihrem Redeschwall nicht zu bremsen und es interessierte sie nicht im Geringsten, ob wir das alles überhaupt hören wollten. Den Jakobsweg findet sie übrigens scheiße, wie sie sagte, total ausgetreten. Dabei schien sie gar nicht bemerkt zu haben, dass meine Pilgerbekanntschaft und ich genau auf diesem Weg unterwegs sind. Zumindest deutete ihre folgende Frage darauf hin. Was wir denn hier machen, wo wir denn hin wollen, ob wir im Urlaub sind, wollte sie wissen. Die Frau kriegt gar nichts mit, ist nur mit sich selbst beschäftigt, dachte ich für mich. „Was machen sie überhaupt beruflich?“ fragte sie mich auffordernd. Bevor ich ihr überhaupt etwas erwidern konnte, schob sie die Frage „Machen sie es denn auch mit Freude?“ hinterher. Da ich nicht ansatzweise ein Verlangen hatte, mich mit dieser taktlosen Schnabbeltante zu unterhalten, schon gar nicht über berufliche Dinge, antwortete ich ihr knapp: „Im Moment wandere ich mit Freude, das reicht mir vollkommen.“ Die Antwort stellte sie vielleicht nicht zufrieden, aber sie sprang sogleich auf ein anderes Thema über. Ich klinkte mich desinteressiert aus, hörte einfach nicht mehr zu. Also wandte sie sich meinem „Kameraden“ zu, der nach außen geduldig zuhörte und das verbale Trommelfeuer still über sich ergehen ließ. Ich wunderte mich nur, mit wie wenig Feingefühl manche Leute ausgestattet sind. Es war so etwas wie Freude, als die Dame uns signalisierte, dass sie gleich zu Hause wäre und sich unsere Wege trennen würden. Gut hat sie es ja gemeint, uns schließlich auch den richtigen Weg gewiesen, erträglicher machte sie das freilich nicht. Irgendwie tat sie mir auch leid. Sie klang so verbittert. Welchen unglückseligen Verlauf musste ihr bisheriges Leben genommen haben, dass sie im Herbst ihres menschlichen Daseins scheinbar jegliche Lebensfreude verloren hat? Ein Jammer!
Kurz nach dieser Begegnung erreichten wir Bollendorf und fanden in der direkt am Weg liegenden, eher schmucklosen Jugendherberge 2 freie Zimmer. Etwas Glück war dabei, denn sie ist fast voll belegt mit einigen Schulklassen. Ich war einfach nur froh, denn ich musste feststellen, dass meine Füße wieder übel aussehen, nachdem ich sie gestern auf dem Weg der Besserung wähnte.
Mit meinem Pilgerbekannten ließ ich den Tag im Jugendherbergs-Bistro bei 2 Gläsern Bier gemütlich ausklingen. Angenehme Kompanie für einen Abend, aber schon morgen werden wir getrennt voneinander weitergehen. Ich plane eine deutlich kürzere Etappe als er. Er möchte am Sonntag am Dreiländereck ankommen. Ich muss und werde bis Trier meine Füße schonen, mir für die 40 km 2 Tage Zeit lassen, dort einen ersten Pausentag einlegen und eine professionelle medizinische Fußpflegepraxis aufsuchen. Zur Not bleibe ich 2 Tage! So geht’s auf jeden Fall nicht weiter. Habe schließlich noch über 2.000 km vor mir. Bei allem Ehrgeiz, ich muss anfangen, vernünftig zu handeln, nicht nur vernünftig
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