Abenteuer Jakobsweg - Höhen und Tiefen einer langen Reise (German Edition)
aus dem Fenster, ohne mir auf die Schulter klopfen zu wollen. Dazu besteht auch gar kein Grund. Inzwischen empfinde ich das, was ich tue, längst nicht mehr als schwer und außergewöhnlich. Schon gar nicht ist es etwas, für das man Anerkennung erwarten sollte. Da gibt es hunderttausende oder noch viel mehr Menschen, die weitaus höher einzuschätzende Dinge vollbringen, vor allem viel nützlichere. Na ja, zumindest schade ich mit meinem Gehen auch niemandem.
Durch unsere angeregte Unterhaltung verging die Zeit wie im Flug. In Navarrete gönnten wir uns eine Kaffeepause und trafen dort auf ein paar flüchtige Pilgerbekanntschaften. Unter denen war ich als Long-Distance-Pilger ein echter Exot und wurde nicht selten schief angeschaut. Von mir aus erzähle ich den Leuten eigentlich nichts, aber Ludger erwähnt es das eine oder andere Mal. Ich finde es nicht schlimm, nur bin ich gar nicht scharf darauf, als was „Besonderes“ angesehen zu werden, das bin ich nicht. Wie jeder hier gehe ich einfach meinen Weg, nur eben ein paar Kilometer mehr. Sei‘s drum.
Optisch passte heute irgendwie wirklich alles zusammen. Selbst das Wetter spielte mit und präsentierte sich wolkenverhangen. Die Temperaturen waren dafür mit rund 20°C sehr angenehm zum Wandern. In den weit entfernten Gebirgszügen regnete es, es schaute so aus, als hingen die Regenwolken dort fest. War uns recht, dann konnten sie nicht zu uns herüberziehen. Nächste Station nach wenig aufregenden Eindrücken war Nájera. Das Auffälligste dort sind die steil hinter den letzten Häusern der Stadt aufragenden roten Sandsteinfelsen. Eigentlich hatten wir überlegt, in der örtlichen Herberge am Ufer des Rio Najerilla abzusteigen. Mit Blick auf die vielen anderen Pilger, die gleiches vorhatten, und der Selbstsicherheit, noch genügend Saft in den Akkus zu haben, beschlossen wir, bis zum nächsten Ort zu gehen. Sehr gute Entscheidung, denn direkt hinter Nájera waren wir wieder in der Natur, die uns auf den letzten 6 km bis Azofra mit himmlischer Ruhe verwöhnte. Diese Ruhe haben Ludger und ich nur noch durch wenige Sätze gestört. Genießen tut man eben am besten im Stillen.
Ich finde es einfach super, dass wir so ziemlich den gleichen Rhythmus draufhaben. So können wir sicher noch ein paar Tage zusammen gehen, ohne dass sich einer von uns groß nach dem anderen richten müsste. So einen Pilgerkameraden wünscht man sich.
Azofra ist winzig, bietet aber die volle Infrastruktur für Pilger. Die Albergue ist sehr neu und modern, bester Pilgerstandard. Es gibt nur Doppelzimmer, oder besser gesagt -kammern, das ist besonders schön, keine großen Schlafsäle. Hier geht es ruhig zu. Es sind zwar einige Pilger hier, aber das verläuft sich alles. Das wird in Nájera anders sein, laut Reiseführer bietet der einzige Schlafsaal Platz für 100 Personen – wetten, dass dort lautstark italienisch gesprochen wird und morgen früh um 5 Uhr die Nacht für alle vorbei ist! In einer der beiden Bars von Azofra trafen wir auf den Prahlhannes von Huntto. Er zögerte nicht lange und packte sofort wieder die Geschichten aus, die ich bereits lang und schmutzig mithören durfte. Ich ließ es geschehen, da Ludger sehr interessiert zuhörte. Es gibt einfach Menschen, die hören sich fürchterlich gerne selbst reden. Sein beleibter Begleiter schlief derweil in der Herberge, wie immer nach für ihn kräftezehrenden Tagesetappen. Aber Châpeau, er hält wirklich tapfer durch. Völlig unsportlich wie er ist, stellt so ein Weg eine ganz andere Herausforderung dar als für jemanden, der im Alltag körperlich nicht völlig passiv ist. Gleichzeitig gibt er ein gutes Beispiel dafür ab, was mit etwas Willen machbar ist. Dass er abends völlig fertig ist, wundert kaum. Seltsam finde ich, dass die beiden sich siezen, klingt hier auf dem Weg irgendwie befremdlich. Sie stehen wohl irgendwie in einem Chef-Mitarbeiter-Verhältnis, wenn ich das richtig mitbekommen habe. Soll nicht mein Bier sein!
Während Ludger später den Computer der Albergue in Beschlag nahm, um seinen Blog im Internet zu aktualisieren, traf ich ein paar bekannte Gesichter. Die Besetzung der Albergue ist sehr deutschlastig, was nicht negativ klingen soll. Es herrscht eine sehr entspannte Atmosphäre. Draußen fing es am frühen Abend an zu regnen, dabei wurde es auffallend kühler.
Aufgrund akuter Faulheit nahmen Ludger und ich wieder das Pilgermenü, bestehend aus Vorspeise, Hauptgang, Nachspeise sowie
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