Abenteuer Jakobsweg - Höhen und Tiefen einer langen Reise (German Edition)
Bekanntheitsgrad auch über die Pilgerbewegung hinaus. Klar, dass die Legende gepflegt wird.
Natürlich wollten auch Ludger und ich die weißen Hühner und den Hahn in der Kirche besichtigen. Beim Eintreten wurden wir von dem Hahn mit einem lauten Krähen empfangen. So gehört sich das, denn nun soll uns im weiteren Verlauf des Weges das Glück hold sein. Noch so eine Legende, aber eine schöne! Immerhin ist der Hahn ein schlauer Hahn. Er kräht nicht bei jedem. Ein nach uns die Kirche betretendes deutsches Ehepaar wurde von ihm nicht begrüßt, sie waren halt nur Touristen, keine Pilger. Die Frau meinte uns von ihrer Tochter erzählen zu müssen, die auch schon mal 100 Kilometer gepilgert sei. Wir verkniffen uns einen Kommentar, suchten aber das Weite, als sie uns mit großen Worten umschreiben wollte, was für ein dolles Ding ihre Tochter damit vollbracht hat und welche Anstrengungen sie auf sich genommen hat. Nicht, weil wir die Leistung der Tochter nicht zu würdigen verstehen, sondern einfach nur, weil wir keinen Bock auf die selbstverliebte Sülze dieser Frau hatten. Unerträglich! Ludger und ich waren uns einig, Touri und Pilger, das passt einfach nicht zusammen.
Bevor wir weitergingen, musste Ludger einen Fuß versorgen. Erste Blasen meldeten sich. Nachdem er eine Einlage aus dem Schuh genommen hatte, konnte er den Weg jedoch beschwerdefrei fortsetzen. Nach Santo Domingo de la Calzada litt das Naturerlebnis empfindlich durch die wieder einmal in der Nähe verlaufende Fernstraße. Ein langes Stück mussten wir sogar über den Seitenstreifen marschieren. Das war alles andere als ein Vergnügen. Besonders die vielen LKW, die in einem Abstand von maximal einem Meter an uns vorbei bretterten, ließen uns mehr als einmal fluchen. Ganz anders wurde uns, als ein überholender LKW haarscharf von hinten an uns vorbeiraste. Mit einem lauten Schrei ließen wir unserem Schreck freien Lauf, den hatten wir überhaupt nicht kommen sehen. Manche Fahrer hupten sogar noch, wenn sie an uns vorbeifuhren. Das waren teilweise potentielle Mörder, so wie die fuhren. Es sah auf jeden Fall nicht so aus, dass sie Pilger mögen. Vor Grañón konnten wir durchatmen, endlich entfernte sich der Camino wieder etwas von der Straße, die Anspannung löste sich langsam. Bei weiter recht kühlen Temperaturen und wenig Sonne kämpften wir den ganzen Tag mit kräftigem Gegenwind. Der pustete unaufhörlich und ging besonders Ludger langsam an die Substanz. Fast 100 km in 3 Tagen nach bis dahin nur kurzen Etappen gehen eben nicht spurlos an einem vorüber, ist doch klar. Aber Ludger ließ sich davon nicht zermürben. Gleichmäßigen Schrittes stemmten wir uns gegen die steife Brise und fraßen Kilometer um Kilometer. Immer nur kurz waren die Abschnitte ohne die Straße im Hintergrund. Umso mehr kosteten wir die kurzzeitige Stille aus und beobachteten, wie der Wind gleichmäßige Wellenbewegungen in die riesigen noch grünen Getreidefelder zauberte. Dieses schön anzusehende Schauspiel übte auf mich eine angenehm wohltuende Wirkung aus.
Beharrlichkeit führt zum Ziel, so auch heute. Ohne uns loben zu wollen, haben wir dies mit der kleinen bäuerlichen Ortschaft Villamayor del Rio clever gewählt. Die Albergue steht mitten im Grünen und ist nur schwach frequentiert. Im Garten herrschte am Nachmittag himmlische Ruhe. Überhaupt, auch auf der Strecke war es heute wieder sehr ruhig, da wir auf die meisten Pilger mit einem Vorsprung gestartet
sind, den wir den ganzen Tag beibehalten konnten.
Bei Ludger meldete sich nun auch an seinem anderen Fuß eine Blase. Ohne Frage, der heutige Tag war ein Härtetest für ihn. So zog er es vor, sich nach der Ankunft erst mal schlafen zu legen. Ich quatschte derweil im Garten etwas mit Jonathan, einem Mexikaner, der gemeinsam mit seinem Vater auf dem Jakobsweg unterwegs ist. Sie sind, eher unüblich, in Barcelona gestartet. Camino International! Die beiden waren übrigens gestern in Nájera, haben heute fast 40 km zurückgelegt. Wie vermutet, war die dortige Albergue mit etwa 100 Leuten „ausverkauft“. Das wird hier heute ganz sicher nicht der Fall sein, allenfalls 15 Pilger teilen sich die Herberge, die im Maximalfall 52 Betten bietet. Dieses Gedränge würde ich hier aber auch nicht erleben wollen! Schon seit Tagen treffen wir abends auf zwei schweigsame Pilger aus Frankreich und Italien (!!). Unsere einzige Kommunikation ist ein freundliches Lächeln und der übliche Pilgergruß. Es bedarf
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