Abenteuer Jakobsweg - Höhen und Tiefen einer langen Reise (German Edition)
nicht immer vieler Worte, um sich zu verstehen.
Ich erkundete noch ein wenig die Umgebung um die Albergue. Viel war nicht, der Ort hat nur 50 Einwohner. An der Durchgangstraße liegt ein Bordell, wohl eher für Trucker als für Pilger gedacht. Ich jedenfalls hatte gerade kein Problem, der „Versuchung“ zu widerstehen. Nicht widerstehen konnte ich jedoch der Verlockung eines kühlen Bieres im benachbarten Restaurant. Da die Sonne schien, war es auf der Terrasse gemütlich warm. Bei den schönsten Schnulzen von Kansas, Boney M., Reo Speedwagon und anderen Rock-/Pop-Größen, aufgenommen im sanften Panflötensound, beobachtete ich das, was sich über mir abspielte. In rasend hoher Geschwindigkeit zogen weiße Wattewölkchen unter der endlosen Weite des azurblauen Himmels daher, ständig ihre Form ändernd. Mit den Wolken ließ ich meine Gedanken forttreiben. Zurück blieb eine Leichtigkeit, die Raum und Zeit verschwimmen ließ. Einfache Momente wie diese sind es, die einem auf dem Camino immer wieder so schöne Glücksgefühle schenken. Ich sehe sie denn auch als Botschaft, dass sich gerade in der Einfachheit ein immenses Glückspotential für uns alle verborgen hält. Je weniger wir danach suchen, desto eher findet das Glück uns. Ganz, ohne dass es irgendwelcher (käuflicher) Dinge dafür bedarf. Erst mit weniger schöner Musik endete mein Ausflug ins Reich der himmlischen Träume, das aber ziemlich abrupt. Ich war richtig weit weg, fast eine Stunde war vergangen, seit ich mich hingesetzt hatte, sogar mein Bier stand noch halbvoll vor mir. Wenn der Geist verreist... .
In 50 Meter Entfernung sah ich 2 junge holländische Pilger, die strammen Schrittes an Villamayor del Rio vorbeimarschierten. Sie sahen mich und winken mir zu. Ich habe sie nun bereits mehrfach gesehen, in Cirauqui waren sie in der gleichen Albergue wie ich. Heute war es bereits nach 18 Uhr und sie hatten immer noch nicht genug. Eine Stunde werden sie wohl noch zu gehen gehabt haben bis zum nächsten Ort.
In der Albergue wurde ein einfaches Abendessen gereicht, zum satt werden reichte es zwar nicht, aber mein Magen wird wohl über Nacht nicht knurren müssen. Ludger war weiter ziemlich matt und legte sich gleich nach dem Essen wieder schlafen. Ich ging noch kurz telefonieren und erfuhr, dass zuhause alle gesund und munter sind. Das ist das Wichtigste! Noch vor 21:30 Uhr werde auch ich heute im Bett landen, ich bin bereits jetzt der letzte, der auf ist. Nach einem feucht-fröhlichen Abend wie gestern tut eine längere Nacht bestimmt gut.
Mal schauen, wie sich Ludger erholt, und ob wir auch den morgigen Tag gemeinsam beenden… .
Tag 66, Villamayor del Rio - Atapuerca 35 ,5 km
Bei empfindlich kühlen Temperaturen machten Ludger und ich uns gemeinsam auf den Weg. Er wirkte auf mich gut ausgeruht. Entsprechend beschwingt legten wir die ersten 5 km bis Belorado zurück. Heute waren wir wieder wesentlich gesprächiger als gestern und erzählten uns ein paar Geschichten aus unseren Familien. In Belorado verweilten wir längere Zeit an dem altertümlichen Glockenturm der Kirche. Vor allem die vielen Störche in ihren Nestern zogen unsere Blicke auf sich. Ein Bild wie aus einer anderen Welt, das durch das trübe Wetter noch verstärkt wurde.
Auf dem Weg zum Ortsausgang eröffnete mir Ludger, dass er mich von dort an alleine weiterziehen lassen würde. Er hatte mit zunehmenden Beschwerden an den Füßen zu kämpfen, auch körperlich will und muss er die Belastung in den kommenden Tagen reduzieren. Die letzten Etappen forderten ihren Tribut. Er wollte keinesfalls, dass ich mein Tempo ihm zuliebe reduziere. Es machte mich fast ein wenig traurig, nun wieder allein zu gehen, aber ich verstand ihn voll und ganz. Es wäre völlig verkehrt, sich aneinander zu binden. Ludger befindet sich noch in der frühen Phase seiner Pilgerreise, muss und wird seinen eigenen Weg finden. Ich gehe meinen weiter. Es waren ein paar schöne Tage, die wir miteinander verbracht haben, doch jetzt ist es an der Zeit, sich zu trennen, so ist das nicht nur auf dem Camino, sondern auch im wirklichen Leben. Ein fortwährendes Kommen und Gehen. Wir verabschiedeten uns wie gute Freunde voneinander, nicht ohne uns gegenseitig die besten Wünsche mit auf den weiteren Weg zu geben. Ich drücke ihm beide Daumen, seine jetzigen Probleme sowie alle schwierigen Situationen, die noch auf ihn zukommen, gut zu
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