Abenteuer Jakobsweg - Höhen und Tiefen einer langen Reise (German Edition)
unserem Zimmer und waren kein bisschen müde. Der Nachmittag gehörte uns! Zunächst erkundeten wir die Stadt, die viel südländisches Flair ausstrahlt, zumindest im großen alten Kern, den wir heute nicht mehr verließen. Über die Kirchen schreibe ich nichts mehr, da fehlen mir eh’ die richtigen Worte. Auf den barocken Türmen der Kathedrale haben sich ein paar Störche häuslich eingerichtet, das gefiel mir. Wirklich praktisch sind die Straßen der Altstadt, die fast komplett von Arkaden gesäumt sind. Bei Regen wird man nicht nass, und bei knallender Sonne, wie heute bieten sie Schatten. Und ganz nebenbei kann man wunderbar unter ihnen sitzen, etwas plaudern und in der Stadt ankommende schwitzende Pilger beobachten. Da fühlt man sich wie im Urlaub. Nach und nach gesellten sich ein paar Leute zu uns, so zum Beispiel Arie, ein älterer Holländer, der seit einigen Jahren in seinem Altersdomizil Venezuela wohnt. Er gehört zu der Gattung Mensch, der man gerne zuhört. Und er hatte eine Menge zu erzählen, unter anderem aus seinem Berufsleben. Er war über Jahrzehnte ein ziemlich hohes Tier in mehreren großen Hotelketten der Welt, z. B. Hilton, und dort verantwortlich für den Bau neuer Projekte. So hat er den Bau des ersten Hilton-Hotels in Dubai federführend betreut. Ein Mann von Welt, 6-sprachig! Heute ist er Ruheständler und Weltenbummler, auf dem Jakobsweg ist er mit seiner Frau unterwegs, die es aufgrund akuter Müdigkeit vorzog, im Hotelzimmer ein Schläfchen zu halten. Nächste Woche fliegen sie zurück in ihre Wahlheimat. Eine absolute Frohnatur, der Mann. Ich vermutete spontan, dass Lachen eins seiner Lieblingshobbys sein muss. Zum Schmunzeln fand ich seine Anekdoten aus der Zeit, in der er für die Hilton-Kette tätig war. Als er die kleine Paris kennenlernte, hat sie sich noch in die Windeln geschissen. Ob sie wohl heute noch in ihrer Zelle sitzt oder schon wieder Partys feiert?
Ein anderer Pilger, ein 69-jähriger Finne, ist der totale Hammer. Ludger kannte ihn aus seiner letzten Herberge bereits. Dieser Mensch spricht nicht ein einziges Wort einer anderen Sprache außer Finnisch, nicht einmal Englisch. Jede verbale Verständigung mit ihm ist unmöglich. Trotzdem saß er selig grinsend an unserem Tisch und hörte aufmerksam zu, was wir uns erzählten. Ein origineller Kerl. Ludger erzählte, dass er sich gestern 15 Minuten mit ihm „unterhalten“ hat. Keiner hat den anderen verstanden, weil beide in ihrer Muttersprache gesprochen haben. Später hat der Finne Ludger Bilder der spanischen Tageszeitung „El Pais“ ausführlich beschrieben, natürlich auf Finnisch. Ziemlich abgefahren, wie ich finde. Ich glaube, so etwas erlebst du nur auf dem Camino. Es wäre mal interessant zu erfahren, wie dieser Mensch den langen Weg nach Santiago für sich empfindet. Er sah auf jeden Fall total zufrieden aus. Nach 2 Stunden saßen wir zu 8 Pilgern um die Tische, auch in Freizeitkleidung finden wir eben zielsicher zueinander. Wir sind wohl so was wie ein eigenes Volk, ein sehr spezielles ganz gewiss.
Bei etwas gemäßigteren Temperaturen bummelte ich mit Ludger am Abend noch etwas durch die schöne Altstadt, in einer kleineren Kirche besuchten wir eine Messe mit anschließender Pilgersegnung. Verstehen taten wir zwar nichts, trotzdem war’s ein schöner Moment der kurzen Einkehr nach der lockeren Urlaubsatmosphäre am Nachmittag. Tja, und wen sah ich unter den wenigen Besuchern noch? Ausgerechnet die beiden „netten“ Italiener, die ihre Nudeln nicht mit meinen kochen wollten. Der ältere von den beiden assistierte sogar im Priestergewand dem spanischen Pastor. Damit hätte ich so ziemlich als Letztes gerechnet. Sein Freund saß in einer der hinteren Reihen und hatte den ihm eigenen „freundlichen“ Gesichtsausdruck drauf, den ich von ihm kannte. Er bekam nicht einmal einen wortlosen Gruß heraus, als sich unsere Blicke kreuzten. Vielleicht ist er mir ja auch deshalb so unsympathisch, weil er dem italienischen Fußballer de Rossi ähnlich sieht, diesem Rüpel, der mindestens genauso gerne seine Gegenspieler verletzt, wie er vor den Ball tritt. Was soll‘s, Schluss damit! Nach der Pilgersegnung fanden wir ein nettes Restaurant, in dem wir ein extra günstiges Pilgermenü inklusive Tischwein bekamen. Außer uns waren zu dieser frühen Stunde nur andere Pilger im Raum. Die Spanier gehen bekanntlich nicht vor 22 Uhr essen.
Obwohl die Verlockung groß war, in der nun belebten Innenstadt einen
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