Abenteuer Jakobsweg - Höhen und Tiefen einer langen Reise (German Edition)
drauf zu machen, widerstanden wir. Wir sind Pilger, der Tag hat uns genug gegeben und außerdem wollen wir morgen nicht in den Seilen hängen. Mit Ludger bin ich einig, dass wir zusammen weitergehen werden. Es passt und die Themen gehen uns auch noch nicht aus. Ludger weiß nur noch nicht, wie lange er sich mein Pensum wird zumuten können. Er ist schließlich noch in der Eingewöhnungsphase. Aber das wird sich zeigen. Wir lassen es auf uns zukommen.
Übrigens war es genau richtig, nicht in die Albergue gegangen zu sein. Wir haben heute Nachmittag während unseres Stadtbummels dort vorbeigeschaut. Sie war rappelvoll, und auf dem für diese Anzahl Leute viel zu kleinen Innenhof herrschte Schulhofatmosphäre. Die Spanier und Italiener aus Los Arcos waren natürlich auch da und taten das, was sie am liebsten machen, nämlich gestenreich und lautstark diskutieren.
Wie schön, einen ruhigeren Ort für die Nacht gefunden zu haben! Heute passt wieder alles!
Lichtspiel
Tag 64, Logroño - Azofra 36,5 km
So eine Großstadt hinter sich zu lassen, kann ganz schön dauern. Es war ein wenig prickelnder Gang hinaus aus Logroño, bei dem ich mental nicht so recht aus dem Quark kommen wollte. Nur sehr behäbig bewegte ich mich voran, ließ mir meine Unlust aber nicht anmerken. Ludger schien gut drauf zu sein. Nach über einer Stunde erreichten wir ein Naherholungsgebiet mit großem Park und Stausee. Hier werden sich an den Wochenenden sicher tausende Städter tummeln, heute Morgen war es leer und beschaulich. Der liebevoll angelegte Spazierweg war fest in Pilgerhand. Ein spanischer Hardcore-Pilger mit langem Rauschebart, der in Logroño zuhause ist, verteilte an einem Stand am Wegesrand Obst und Kekse. Bereitwillig posierte er für ein Erinnerungsfoto und drückte uns sogar einen eigenen Stempel in unser Credencial. Von seinen selbstgepflückten Kirschen ließ ich allerdings die Finger, ich überlegte vielmehr, wann sich der etwas arg ungepflegt erscheinende Mann wohl zum letzten Mal die Hände gewaschen hat. Ich hatte keine Lust auf verrückten Magen. Meine Eingeweide spielen so gut mit auf dem Weg, da mochte ich sie nicht unnötig provozieren. Der weitere Weg verlief unansehnlich immer in der Nähe der Fernstraße, teilweise direkt an ihr entlang. Zur anderen Seite bestimmten zwar Wein- und Getreidefelder die Landschaft, aber der Lärm vorbeirauschender LKW machte diesen eigentlich schönen Eindruck zunichte. Zahlreiche Industriesiedlungen im weiteren Verlauf rundeten das Bild in gewisser Weise ab. Optisch war das mit Abstand der schäbigste Abschnitt in Spanien.
Wenigstens arrangierte ich mich mit dem Laufen und musste mir innerlich nicht ständig Kommandos geben. Reine Kopfsache, physisch war ja alles in Ordnung. Solche Tage gibt’s halt immer und überall mal, dass man zu etwas weniger Lust hat, bei der Arbeit vielleicht etwas öfter. Aber auch da kann man ja nicht einfach sagen, dann gehe ich heute eben nicht. Klar, aus jahrelanger Erfahrung weiß ich, dass es auch diese Spezies gibt. Die findet man dann eher selten an ihrem Arbeitsplatz - solange es noch ihr Arbeitsplatz ist… .
Wie gut, dass ich an so einem wenig attraktiven Streckenabschnitt angenehme Kompanie hatte. Mit Ludger unterhielt ich mich bestens. Wir hatten viel Zeit, da ließen wir kaum ein Thema aus. Familie, Konsum, die verschobenen Wertvorstellungen unserer Gesellschaft, zu der wir natürlich auch dazugehören, von der wir aber gerade eine Auszeit nehmen, die häufig unbemerkte Manipulation und Beeinflussung im Alltag durch Medien etc., die offene Frage, was eigentlich richtig, was falsch ist und noch vieles mehr. Banales und Gehaltvolles, wir redeten, was uns in den Sinn kam, die Themen reihten sich übergangslos aneinander. Natürlich wurde auch über den Camino selbst gesprochen, da waren dann meine Erfahrungen gefragt. Ludger hatte in den ersten Tagen sehr mit sich zu kämpfen und hat etwas Zeit gebraucht, in den Weg hineinzufinden. Ich glaube, ihm tut meine Gesellschaft gerade recht gut und ich könnte mir vorstellen, dass er daraus ein bisschen Kraft für sich zieht. Ich denke, eines mit Fug und Recht behaupten zu können: Egal wann, egal wo, ich habe jedem gegenüber Optimismus ausgestrahlt, auch wenn es mir mal nicht so toll ging. Kann mir nicht vorstellen, dass irgendeine meiner Camino- Bekanntschaften je Zweifel an meinem Durchhaltevermögen hat oder gehabt hat. Soweit lehne ich mich mal
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