Abenteuer Jakobsweg - Höhen und Tiefen einer langen Reise (German Edition)
Tischwein zu uns. Nicht teuer, dafür reichlich und passabel im Geschmack. Der Rest des Abends wurde dann gesellig. Im Hof der Albergue leerten wir mit ein paar anderen Pilgern 3 Flaschen Rotwein und führten dabei eine ziemlich angeregte Unterhaltung. Nicht nur lustig. Ein irischer Pilger aus Cork erzählte uns, dass er auf dem Weg den Unfalltod seines Bruders verarbeiten möchte. Ludger kannte ihn und seine Story bereits. Als er ihn kennen gelernt hat, war er noch sehr in sich versunken, inzwischen wirkt er deutlich gelöster. Wie er selbst sagte, hat er eine Antwort für den Tod seines Bruders gefunden, und er weiß jetzt, wie er damit umzugehen hat. Er erzählte sogar schon wieder Witze. Ein Deutscher, nicht mehr ganz nüchtern, berichtete uns, dass er Frank Elstner persönlich aus Schulzeiten kennt. Soso.
Ganz nach dem Motto von Eugen Roth – ernst und heiter – löste sich die Runde erst nach dem letzten Tropfen Rotwein weit nach 23 Uhr auf. Ein gelungener Ausklang eines durchschnittlichen Tages ohne Superlative, Pilgeralltag eben. Wohl dem, der so einen Alltag hat!
Nur noch 600 km! Unglaublich, wie die Restdistanz bis Santiago immer schneller zu schmelzen scheint. Ist aber wohl mehr eine subjektive Einschätzung. Die meisten Pilger haben hier gerade mal ein Viertel ihrer Reise hinter sich gebracht, die sehen das vermutlich etwas anders. 600 km sind 600 km, und doch lässt die individuelle Wahrnehmung diese Entfernung unterschiedlich lang erscheinen. Ich freue mich auf jeden einzelnen Kilometer, der noch vor mir liegt, sehr sogar!
Schlafen gehe ich heute mit meinem persönlichen Lieblingsspruch des Tages, der gerahmt an einer Wand in der Albergue hängt: „Der Tourist fordert, der Pilger dankt!“ Wie wahr... .
Pause gefällig?
Tag 65, Azofra – Villamayor del Rio 33,5 km
Was war das für eine klare Luft heute Morgen! Zwar war es kühl wie lange nicht, aber es ließ sich wunderbar durchatmen. Kurz hinter der Herberge nahmen uns direkt die flachen Weiten der Rioja Alta mit ihren scheinbar endlosen Getreidefeldern auf. Hier beginnen die Tierras de Campo, die Kornkammern Spaniens, wohl endgültig der Vorgeschmack auf das, was uns in der Meseta hinter Burgos erwartet. Ich mag das, je weiter die Landschaft, desto ausgeprägter das Gefühl von Freiheit und Unbegrenztheit. Weit entfernt zeichnet sich die Silhouette der kantabrischen Gebirgskette mit Gipfeln von über 2.600 m Höhe ab.
So gar nicht wollte das überaus hässliche, aber scheinbar schnell wachsende Retortenstädtchen Cirueña in die Landschaft passen. Dort scheint sich eine neureiche spanische Elite ihren eigenen Lebensraum zu schaffen. Ein Haus gleicht dem anderen, modern aber äußerst schmucklos. Noch wird viel gebaut, aber wenn die Stadt mal „fertig“ ist, wird sie sich abweisend steril und unpersönlich präsentieren. Das tut sie jetzt schon, da wo die Straßenzüge komplett sind. Aber dafür hat sie einen eigenen Golfplatz - wichtig popichtig! Bevorzugte Automarken sind in Cirueña die größeren Modelle deutscher Premiumhersteller. Anzunehmen, dass Mercedes, BMW & Co. weiterhin vom nachbarschaftlichen Wettbewerb um das beste, größte und teuerste Auto profitieren werden. Viel Spaß in eurer eigenen Welt, war ich beim Verlassen der Stadt geneigt zu sagen. Der Ire aus Cork fasste das äußere Erscheinungsbild von Cirueña kurz und bündig zusammen: „Look at this, isn’t it ugly? Bäh, it is ugly!” Mehr Worte bedurfte es eigentlich auch nicht. Die uns anschließend wieder umgebende Natur umschmeichelte unsere Augen umso mehr. Bis Santo Domingo de la Calzada änderte sich daran nichts mehr.
Diese Stadt wird nicht so einfach durchwandert, zählt sie doch zu den bedeutendsten Orten am Jakobsweg. Fast 1.000 Jahre reicht die Geschichte dort zurück und beginnt mit der Geburt von Domingo de Viloria, der fortan sein ganzes Leben dem Jakobsweg widmete. Nur ihm verdankt Santo Domingo de la Calzada seine Existenz. Bis heute sind seine Spuren an verschiedenen Stellen der Stadt erkennbar. Die von ihm befestigte lang gestreckte Straße prägt nach wie vor das Stadtbild. Die Geschichte vom Hühnerwunder im 16. Jahrhundert ist hingegen eine nette Legende, die vor allem eins tut, nämlich belustigen. Trotzdem, oder gerade deshalb, hebt sich Santo Domingo de la Calzada heute als Pilgerstation von vielen anderen Städten des Jakobswegs ab und sorgt für seinen hohen
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