Abenteuer Jakobsweg - Höhen und Tiefen einer langen Reise (German Edition)
einen Baumstumpf, auf dem ich mich niederließ. Endlich Pause, endlich Schatten! Hier waren auch gleich wieder viel mehr Vögel, denen ich bei ihrer lautstarken Unterhaltung entspannt zuhören durfte. Je mehr ich mich auf das Gezwitscher konzentrierte, desto deutlicher konnte ich die verschiedenen Singstimmen unterscheiden. Es hörte sich so an, als würden die Vögel wirklich miteinander kommunizieren.
Wieder einmal musste ich meinen inneren Schweinehund überwinden, die Rast zu beenden. Immerhin waren noch rund 10 km bis Prüm zurückzulegen. Nicht wenig angesichts hartnäckiger Unlust. Meine Motivation bezog ich nur daraus, mir für heute Abend mindestens 2 Weißbier zu versprechen. Mit diesem primitiven Psychotrick kam ich einigermaßen voran. Zum Glück führte der Weg ein ganzes Stück durch den Wald, allerdings konnte ich mich nur noch humpelnd fortbewegen, besonders längere Abstiege waren eine Qual. Ich versuchte, an etwas Schönes zu denken und landete bei Wiebkes und meiner Hochzeit 2001 auf den Malediven. Während ich die Bilder der Zeremonie, der anschließenden Feier und der Traumstrände vor meinem geistigen Auge ablaufen ließ, gelang es mir tatsächlich, den Schmerz etwas zu verdrängen. Später tat auch die wieder sehenswerte Landschaft bis Gondenbrett ein Übriges dazu. Ich war begeistert, wie es klappt, körperliche Pein durch die bloße Kraft von Gedanken wirksam zu bekämpfen. Das werde ich öfter tun. Auf dem weiteren Weg kam ich an einem Bordell vorbei. Ein Haufen ausrangierter Betten wartete vor dem Haus auf seine Verschrottung - viele Betten! Wenn die Geschichten erzählen könnten... .
Bevor ich Prüm erreichte, hatte ich den Kalvarienberg zu „bezwingen“. Das war zwar recht anstrengend, jedoch wesentlich angenehmer als das steile Abwärtslaufen. Beides war notwendig, um in die Stadt zu gelangen. An einer kleinen Kapelle verspürte ich das plötzliche Bedürfnis, dort einzukehren. Nur ein paar Minuten innehalten, die himmlischen Mächte beschwören, damit ich meinen Weg in guter Verfassung fortsetzen kann.
Obwohl ich noch nie an einer höheren Existenz gezweifelt habe, sehe ich mich nicht als praktizierender Christ im klassischen Sinne, einer, der regelmäßig Gottesdienste besucht. Insbesondere der katholischen Kirche als Institution kann ich bei allem guten Willen wenig abgewinnen, sehe deren Ritualen eher erheitert zu, als dass ich sie ernst nehmen kann. Fühle mich deswegen trotzdem nicht unchristlich oder gar als schlechterer Mensch. Ich mag nur keine Engstirnigkeit und allzu schablonenhaftes Denken, weil das meiner Meinung nach den Geist eher blockiert und einem umfassenderen Weltbild entgegensteht. Zum ersten Mal habe ich heute das Gefühl gewonnen, dass der Weg mir einen ganz eigenen, individuellen Zugang zum Glauben vermitteln will, frei von Dogmen kirchlicher Institutionen, ganz unverkrampft. Und, es tut mir gut, ohne dass etwas Unmittelbares passiert! Ich weiß einfach, ich bin nicht allein - niemals! So auch, als ich die Kapelle wieder verließ. Ich bin sicher, diese Gewissheit wird mir in wirklich schweren Situationen noch helfen… .
Endlich in Prüm angekommen, stand ich direkt vor der Jugendherberge, die eher einem modernen Hotel oder Tagungszentrum gleicht. Ich war erleichtert, denn weiter hätte es heute wirklich nicht gehen dürfen. Beim Einchecken erfuhr ich, dass ich heute in diesem Komplex, der weit mehr als 100 Personen Platz bietet, nur einer von 2 Gästen bin. Erst ab morgen soll es richtig voll werden. Der erste Blick in mein Zimmer hat das gehalten, was der Bau von außen verspricht. 3-Sterne-Standard und top-modern. Mit meinen Unterkünften hatte ich bisher wirklich Glück… .
Weniger erfreulich der Blick auf meine Füße. Dort sieht‘s inzwischen regelrecht unappetitlich aus. Wie groß können Blasen eigentlich werden, bevor sie aufgehen? Es ist ein Jammer, körperlich fühle ich mich inzwischen ziemlich gut drauf, aber ich muss wohl ernsthaft in Erwägung ziehen, morgen einen Tag Pause einzulegen, um den Füßen Schonung zu geben. Mir wird bereits jetzt klar, dass ich mein Ziel, den Weg in 3 Monaten zu absolvieren, kaum erreichen werde. Ich sollte wirklich mit derartigen Planspielen aufhören, mich nicht unter Druck setzen. Nicht ich bestimme den Takt, sondern der Weg gibt ihn vor. Es dauert eben genauso lange, wie es dauert. Punkt!
Nach umfangreicher Körperpflege wurde es Zeit, mein Versprechen an mich einzulösen. Bei fast
Weitere Kostenlose Bücher